1.
Ich habe in allen meinen Vorträgen immer gesagt, dass russischer Revisionismus und Revanchismus die wichtigsten Erklärungsfaktoren für die Invasion in der Ukraine waren/sind. Ich sage nur gegen den vorherrschenden Diskurs, dass es eine multikausale Entscheidung der russischen…
— Gerhard Mangott (@gerhard_mangott) June 5, 2023
Hintergrund: Das deutsche auswärtige Amt und der deutsche Verteidigungsausschuss, sind über die ersten sieben Kriegsmonate von “Revanchismus” als wahrscheinlichster Kriegsgrund über “Neokolonialismus” als wahrscheinlichster Kriegsgrund auf “Neoimperialismus” als wahrscheinlichster Kriegsgrund gewechselt. Sukzessive, mit der Medienberichterstattung (Snyder).
Mit dem kleinen Problem, dass vor acht Tagen, in vertrauter Runde -
Hanno Pevkur, Minister of Defence of the Republic of Estonia:
“What Russia wants to achieve, the political goals, let’s be honest - and they, these political goals of Russia have never changed, they want to have a grey-zone between Russia and NATO, they want to have a control over this grey-zone and this is what they want to achieve. And they want to have some “security guarantees” for themselves, sorry this is not the Free World and this is what Ukraine is fighting for at the moment, that they are fighting for - the Free World and rule-based world and this is why we support Ukraine so this is obvious and then this is why we can never accept this approach of Russia, looking at international law.”
dann halt auch mal soetwas erzählt - und der ganze Saal nichts dagegen einzuwenden hat, man ist ja unter sich.
Quelle:
(bei 43:50 in)
Das Argument “multikausal”, bedeutet in diesem Zusammenhang meist “und dann gabs noch den Faktor Putin, von dem wir nicht genau wissen welche Rolle er gespielt hat, aber vermutlich keine unbedeutende”. Gegen das Argument gibt es grundsätzlich nichts einzuwenden, in keiner außenpolitischen Theorie kann und wird der Faktor Mensch vollkommen zur unbedeutenden Größe - er wird nur gerne über die Zeit rausgemittelt. Der schönen Theorie wegen.
Jetzt gibts da aber leider ein Problem und das ist, dass die Hoover Institution (siehe auch Robert Kagan), in der zweiten Kriegswoche begonnen hat eigene neue Gesprächsformate aus dem Boden zu stampfen, bei denen sieben Historiker gegen niemanden auf der anderen Seite - begonnen haben Mearsheimer (realist school of IR theory) zu diskreditieren (siehe click) - mit dem Hauptargument, die Realist School of International Theory, sei ja nur eine Abstraktion, und in der Realität wäre ein Krieg ja immer multikausal zu erklären, und daher solle man Mearsheimer nicht zuhören. Mit vollkommen neuen Gästen, die ein Buch zu präsentieren hatten und sich sehr darüber gefreut haben das erste Mal in ein so prestigeträchtiges Format geladen worden zu sein.
Mearsheimer, der später als erster öffentlich in die Debatte eingebracht hat, dass Russlands Angriffsarmee zu klein war um die gesamte Ukraine zu nehmen (Shock and Awe auf Kiew war die Taktik beim Angriff auf Kiew, siehe auch Reisner (hier übrigens Tchakarova im selben Format mit Zeihan, falls den wer diskreditieren möchte)) und der Erste der wiederholt darauf hingewiesen hat, dass keine schriftlichen Belege dafür existieren (auch keine Reden), dass Russland die Staatlichkeit der Ukraine nicht anerkenne.
In die Texte und Reden die für dieses Argument herangezogen werden ließe sich das, mit dem heutigen Wissenstand, leicht hineininterpretieren, aber es ist nicht inherent aus diesen ableitbar. Und so wurde das leider nicht mehr breiter öffentlich debattiert, denn Mearsheimer war ja bereits Persona non Grata. Zumindest für die ersten sechs Monate - aber im Grunde bis heute. Er bekommt dann Spots auf CGTN und bleibt im Westen Teil des alternativen Kanons.
Zusatz: Das war der Folgetweet von Mangott.
Und nichts was eine Erklärung ist, ist auch eine Rechtfertigung. Russlands Invasion ist in jeder Hinsicht illegal.
— Gerhard Mangott (@gerhard_mangott) June 5, 2023
2.
Was für eine ukrainische Täterschaft spricht, sind die Konsequenzen für die Wasserversorgung der Krim und der Umstand, dass eine Dnipro-Überquerung durch die ukrainische Armee (in den nächsten Wochen unmöglich), in einigen Monaten leichter sein wird, als mit dem Damm.
— Gerhard Mangott (@gerhard_mangott) June 6, 2023
Ich halte diese Erklärungsversion aber für unwahrscheinlicher.
— Gerhard Mangott (@gerhard_mangott) June 6, 2023
Wir fassen zusammen: Was für eine ukrainische Urheberschaft spricht sind:
- die Konsequenzen für die Wasserversorgung der Krim
- der Umstand, dass die Dnipro Überquerung nur für wenige Wochen verhindert wird
und
- der Umstand, dass die Dniproüberquerung in einigen Monaten leichter sein wird als mit dem Damm
Er, Mangott, “halte diese Erklärungsversion aber für unwahrscheinlicher”.
Als was? Begründung? Keine. Mangott ist heute bei Phoenix eingeladen, da kann er das dann auch noch begründen- ich werde es mir gerne anschauen,
aber in seiner gesamten Twittertimeline - keine Begründung.
Dann begründen wir es eben einmal für ihn. So gut wir es können.
Mangott halte die zweite Version, dass ein sich überhastet zurückziehendes russisches Battalion den Damm der die Wasserversorgung der Krim in wesentlichen Teilen bedingt und der für die langfristige Verteidigungsfähigkeit der Region für Russland nicht unwesentlich war “in Panik” selbst gesprengt hat, für wahrscheinlicher - da wir wissen, dass die Überquerung des Damms für das ukrainische Militär schwieriger gewesen wäre als die Situation in einigen Monaten und die aktuelle ukrainische Angriffs-Logik darauf abzielt keine einzelnen schnellen Durchbruchsoperationen zu fahren, sondern den Widerstand der russischen Verteidigungsanlagen abzutesten um sie später an geeigneten Stellen (wohl nicht unbedingt der Damm, wo es schwierig gewesen wäre) über 72 Stunden unter Dauerbeschuss zu zermürben, dann die erste Welle der ukrainischen Batallione zurückzuziehen, und direkt nach den 72 Stunden, ohne Unterbrechung, die besser ausgebildeten und besser ausgerüsteten Batallione nachzuschicken, die im Moment noch nicht einmal im Kampfeinsatz sind. Stichwort Leopard 2.
Oder eben wegen dem Terrorpotential. Was das sich in Panik zurückziehende russische Battalion sicher initial dazu bewegt haben wird, den Damm zu sprengen.
Das hält Mangott womöglich für “die wahrscheinlichere Variante”, da sie anekdotisch von US Geheimdiensten bestätigt wurde - die am selben Tag zur Unterstützung ihrer Glaubwürdigkeit auch noch folgendes nachschieben:
EXCLUSIVE: U.S. had intelligence of detailed Ukrainian plan to attack Nord Stream pipeline, months before the bombing. https://t.co/WojFokfga9 By me and @smekhennet
— Shane Harris (@shaneharris) June 6, 2023
was Mangott dann wieder verlinkt.
Gottseidank hilft das ja der deutschen Außenpolitik so viel - die, ab einem bestimmten Punkt (Greenpeace Schiff mit Deutschen vor Ort bei der größten Explosion) kein besonderes Interesse mehr daran gezeigt hat (also kein politisches - das danach noch wahrnehmbar gewesen wäre), den Vorfall aufzuklären.
Und damit hätten wirs dann. Der Krieg am Beispiel Mangott.
Und dass Personen wie Mangott existieren ist mir am Ende trotzdem noch lieber als wenn es sie nicht geben würde.
edit: Drei von drei Psychologen werden ihnen raten, beschäftigen sie sich nicht mehr mit diesem Thema.
Es macht sie nur selbst kaputt.
edit2: Es gibt aber natürlich auch wieder gute Nachrichten.
Aktuell werden vom Standard - Chomskyj und Sachs diskreditiert die an einem “International Summit for Peace in Ukraine” in Wien teilnehmen wollen, Begründung: Code Pink als Hauptsponsor. Inhaltliche Begründung, eine Konferenzteilnahme 2014 im Iran. Oder was das Herbert Kelman Institut auf Wikipedia sonst noch so findet.
edit3: Noch mehr gute Nachrichten, der Gipfel ist nun endgültig gecancelt. Zumindest in den bisherigen Räumlichkeiten. click
edit4: Veranstalter sucht nun neue Räumlichkeiten.
Oder wie würde meine erste Psychologin so schön sagen? Friedensforschung, wäre das nichts für sie? Ich hab da eine Freundin.…
Und der dritte dann? Naja, also konkrete Jobvorschläge in der Psychotherapie zu vergeben ist abseits der Standardmethode - sie brauchen aktuell aber keine Psychotherapie, auf wiedersehen.
DANKE! Das hilft mir wirklich außerordentlich weiter!
edit: Oh, die Phoenix Runde war schon - Nuancen bis zum Abwinken.
Zuerst mal zum annähernd Faktischen. In dem Video sieht man zwei Explosionen, wobei Russland im öffentlichen Narrativ zuerst von Artillerie auf später multiple Raketenwerfer umgestellt hat. Ob das eine erzwungene Reaktion (Reframing) war, kann ich nicht sagen. Ich weiß mit den Bildern nicht genügend anzufangen. (edit: Zeihan hat dazu vor 50 Minuten Kontext veröffentlicht - auf den Bildern sei eine “Explosion von innen” zu sehen, ergo - es waren wahrscheinlich die Russen.)
Der zweite schon beinahe faktische Punkt ist, dass Ashbrook über die gesamte Sendung hinweg zu drei verschiedenen Gelegenheiten das hier pusht: click
Der dritte wohl am ehesten faktische Punkt ist, dass auf den Bildern weit und breit keine ukrainische Offensive zu sehen ist, von der russische Einheiten in Panik davonlaufen.
Zum Glück hilft hier Mangott aus und erweitert sein Argument.
Indem er das von Selenskyj, etwas weniger umgangssprachlich, nachzeichnet..
Am Westufer des Dnipro habe die Ukraine bereits einen Tag zuvor - eine auf Telegram bekanntgegebene amphibische Operation vorbereitet - vor der die Russen eine solche Angst hatten, dass sie gleich mal den Staudamm gesprengt hätten um diese zu verzögern.
Da die amphibische Operation dann aufgrund von “zu viel Wasser” scheitere. Mangott begründet das damit, dass aktuell das schwere Gerät dort nicht mehr eingesetzt werden könne. Damit habe sich Russland mehrere Wochen wenn nicht gar ein bis zwei Monate gekauft - und könne die nun in der Region frei werdenden Truppen flexibler einsetzen, oder die Zeit nutzen um die Befestigungen vor Ort noch weiter auszubauen - so ganz klar wird das nicht.
Dabei vergisst Mangott an einer Stelle afair in der Begründung ein “nicht”, was es schwieriger macht dem Argument zu folgen, aber mein Gott - TV Studio und ein verdammt komplexes Argument.
Das sich dann aber immer noch in zwei Monaten ins Gegenteil verkehrt, wenn wir diese Ansicht mit Mangotts anderen Ansichten zusammenfallen lassen.
Ergo - dann wird es für die Ukrainer einfacher in dem Bereich überzusetzen.
Außerdem - warum kündigt man eine solche Operation per Instagram an? Um den Erfolg zu maximieren?
Schwierig.
Finales Kommentar. Die Stiftung Wissenschaft und Politik zeigt außerdem wieder mal, welche Kapazunda sie da in ihren Reihen hat.
Dass China den Krieg so schnell wie möglich beenden wollte, … Nun - dagegen spricht deutlich Markus Reisner - hier (Mitschnitt einer Äußerung von Xi Jinping gegenüber Putin): click Was aber natürlich auch auf die Öffentlichkeitswirksamkeit abzielen hätte können.
Und am Ende sind wir wieder bei Nuancen bis zum Abwinken.
Wobei, Deutschland hat sich in einem Fall deutlicher positioniert. Indien ist uns Demokratie genug.
edit: Sorry - einmal muss ich noch.
Es gibt dann ein weiteres Problem auf das sowohl Zeihan als auch Ashbrook abstellen, und das ist, dass mit dem kompletten Fehlen des Reservois bei Nova Kachowka ein Viertel der Ukrainischen Anbaufläche für Getreide nicht mehr bewässert werden kann.
Ashbrook zielt sofort Richtung “Hungersnot in der Ukraine” ab - Zeihan bestätigt “potential net food importer”, und wiederholt “at the verge of a regional famine”. Mehr Daten wären nett, zumal die Ukraine vor dem Einmarsch Russlands die Produktion in ihrem Agrarsektor verzehnfacht hatte -- und vor der ukrainischen Gegenoffensive niemand (!) das Argument herangezogen hat, dass die Ukraine jetzt in die Offensive gehe “da sie ansonsten mit Ernährungsproblemen ihrer Bevölkerung zu kämpfen habe”. Also nicht einmal annähernd.
edit: Wobei, einer doch: Der hier.
Daten wären trotzdem nett.
edit (einen Tag später): WOW.
Mangotts Quelle für die ukrainische Amphibionoperation wegen der Russland den Damm bei Nowa Kachowka gesprengt hat?
“Viele Kommentare es würde eine solche Operation bevorstehen - IN RUSSISCHEN Telegram groups.”
Hier beim Deutschlandfunk im Interview geäußert:
https://www.deutschlandfunkkultur.de/zerstoerung-des-staudamms-bei-cherson-neue-dimension-des-ukraine-kriegs-dlf-kultur-1766d2b5-100.html
Wir fassen also zusammen. In Russlands eigenen Telegrammkanälen gibts Gerüchte über eine bevorstehende Amphibische Operation. Desshalb geht Russland her und sprengt - während es laut Selenskyj angegriffen wurde und sich die Soldaten bereits in Panik zurückgezogen hatten, was auf dem veröffentlichten Video nicht zu sehen ist - selbst den Staudamm bei Nowa Kachowka. Und sprengt dann das Schleußenhäuschen gleich noch mit. Wegen Gerüchten in russischen Telegrammchannels, eine amphibische ukrainische Operation könne bevorstehen…
Naja, es ist eine Theorie.
Weiters, so Mangott - die von Selenskyj angesprochene Verminung des Staudamms, seierzeit hätte von der Sprengwirkung nicht ausgereicht um den Staudam zu sprengen.
edit: Reisner bindet die Amphibische Operation in seine Gesamtbetrachtung mit ein: