“Das Problem ist, dass Selenskyj selbst seine Kriegsziele immer anders definiert. Manchmal sagt er die Russen müssen aus dem ganzen Land vertrieben werden, also auch von der Krim, manchmal sagt er - eh, ah, es wird schwierig werden die Russen aus den Gebieten zu vertreiben wo sie vor dem Krieg schon waren, aber was wir jedenfalls tun werden ist bis zum letzten Mann den Donbas zu verteidigen.”
Der Mangott kommt also nicht über ein non denial denial drüber - und das wo wir gegenüber Russland bereits so lange über Minimalziele in diesem Krieg reden - es ist so traurig. So traurig, dass er sich in der Satzkonstruktion fast selbst verhaspelt, während er merkt, dass sie keinen Sinn macht.
Und nein, der wankelmütige Selenskyj ist in der Form eine Lüge. In jedem seiner Interviews, seit dem ersten Monat, weist er auf die Unabdingbarkeit der vollständigen territorialen Integrität der Ukraine (inklusive der Krim) als Bedingung für und Position in Friedensverhandlungen hin. Im Falle der Einsetzung von autonomen Regierungen, ebenfalls nur, wenn diese Regionen Teil der Ukraine werden. Im Falle des angedachten “neutralen Status” der Ukraine (in der Woche in der sich Selenskyj das vorstellen konnte), ebenfalls nur bei einer vollständigen territorialen Integrität der Ukraine, inklusive Krim. Wenn man die Interviews im Volltext liest.
Es gibt und gab keinen Widerspruch in der Sache. Bis zum Interview am Freitag (28.05) im niederländischen Fernsehen. Das in dem Punkt ebenfalls noch genügend Ambiguität offen lässt, um bei Friedensverhandlungen trotzdem die vollständige territoriale Integrität der Ukraine zu fordern.
Das ist wesentlich, weil es vor diesem Interview eine metric shitton an Leuten gegeben hat, die sich ins als Experte “Meinungs-Fernsehen” einladen haben lassen (Berater von Borrell!11!1), und das Gegenteil behauptet haben. (Ukraine sei sehr wohl kompromissbereit, Ukraine wolle doch nur an die Grenzen des 23. Februar zurück… Nein Falschdarstellung, die Grenzen des 23. Februar wurden immer nur als Vorbedingung für Waffenstillstandsverhandlungen genannt.).
Also was machst du jetzt mit nem Gerhart Mangott im Fernsehen, der in dem Punkt ein öffentliches Narrativ deckt, mit ner Aussage die in sich widersprüchlich ist, und die im Kontext dessen was suggeriert wird nicht stimmt?
Lieben, nehme ich an.
Das sind die verdammten Auswirkungen, wenn du seit Kriegsbeginn begonnen hast, jedes Interview das von Selenskyj referenziert wurde (“Selensky fordert Friedensverhandlungen” sei dem ersten Monat, und Papstbesuche, und Panzer in der selben Woche…) wirklich im Volltext zu lesen.
Jetzt stehst du da, du armer Tor, und siehst halt wie diese Gesellschaft belogen wird. Von hinten bis vorne, von morgens bis abends.
Diese Gesellschaft ist das Letzte.
“Also, Selenskyj ist hier immer wieder mit sich selbst uneins, was er eigentlich anstrebt, und in der ukrainischen Führung gibt es darüber auch Streit. Und - eh, eine Rücknahme, oder Verzögerung westlicher Waffenlieferungen um die Ukraine in einen Verhandlungsfrieden zu zwingen, der wesentlich von Russland diktiert werden würde, das würde in Kiew sicherlich sehr, sehr negativ aufgenommen werden.”
(Ich will ja nichts sagen, aber ich habe noch nie eine so wunderschöne Begründung für die Position “die Ukraine muss selbst entscheiden” gesehen.)
Dazu Mangott:
Viele westliche Staaten vertreten die Ansicht, so auch der österreichische, dass es die Ukrainische Regierung ist und ausschließlich die ukrainische Regierung und das ukrainische Volk, die darüber entscheiden, wann Verhandlungen mit Russland aufgenommen werden und welche Bedingungen da akzeptiert werden. Ich wäre mir da nicht so ganz sicher, denn wenn der Westen die Ukraine aufrüstet - und das tut er massiv, sollte er eben auch klar wissen, was ist das End Game, worauf möchte man hinaus, wie weit möchte man Russland hier demütigen, wie manche es formulieren, und das eben könnte schon dazu führen, dass bestimmte Staaten ihre Waffenlieferungen konditionieren. Das heißt abhängig davon machen, wie beweglich die ukrainische Regierung gegenüber dem Invasor ist.
Es gibt eigentlich eine Kluft innerhalb des Westens. Die polnische Regierung, die baltischen Regierungen, Rumänien, die britische, aber auch die amerikanische Regierung gehen in ihren Kriegszielen, die sie als Ziel der Ukraine definieren, sehr, sehr weit. Bis eigentlich dorthin, dass alle russischen Truppen aus der Ukraine entfernt werden. Also auch von der Krim verjagt werden. Deutschland, Frankreich und Italien sind ja hier sehr viel mäßiger. Sie fordern einen raschen Waffenstillstand, und fordern die russischen Truppen eigentlich nur auf, auf ihre Positionen zurückzukehren, die sie vor der Invasion am 24. Februar hatten. Also hier sind die Kriegsziele unterschiedlich. In der Ukraine selbst wird über die Kriegsziele auch heftig diskutiert. Was ein Sieg für die Ukraine ist, ist umstritten.
(Ich will ja nichts sagen, aber ich habe noch nie eine so wunderschöne Begründung gegen die Position “die Ukraine muss selbst entscheiden” gesehen.)
Das ist Position beziehen in Nuancen im Subtext.
Es gibt auch Leute die machen das nicht - aber die sind dann bald weg vom Fenster. Oder sind bei der UN auf die eh keiner hört.
Das ist übrigens Canary Nummer drei für die, die mitzählen. Sachs, Nina Khrushcheva bei Democracy now und Thomas Graham vom CFR vor zwei Wochen. edit: Mehr Sachs.
Diese Gesellschaft ist das abgrundtief Letzte.
edit: Für den zeitlichen Kontext: Andere Newsmeldungen des Tages.
Nachtrag: Nur sieben Tage nach dem Auftritt Mangotts in der ZIB2 fällt dem Standard auf, dass das nicht stimmen kann. Wobei, nein - er bringts halt als weitere Meldung unter ferner liefen…
Die Ukraine habe seit dem russischen Angriff vor mehr als drei Monaten schon viel zu viele Menschenleben verloren, um einfach Teile seines Gebiets abzutreten, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag. Das “Patt”, wie es im Westen mancherorts herbeigeredet werde, sei für sein Land “keine Option”. Daher, sagte Selenskyj, müsse man “die volle Kontrolle über unser Land erlangen.”