Mehr als der übliche Satz

02. Juni 2022

wie bedacht und kom­pro­miss­be­reit, aber auch wan­kel­mü­tig Selen­skyj so ist - den wir immer in den deutsch­spra­chi­gen Medi­en bekommen.

Hier ist das kom­plet­te Tran­skript und die voll­stän­di­ge Über­set­zung des nie­der­län­di­schen Inter­views der Neder­land­se Omro­ep Stich­t­ing (Nie­der­län­di­schen Rund­funk­stif­tung) von vor fünf Tagen. Basie­rend auf den Unter­ti­teln im Video.

Das mit dem Sager, dass die Ukrai­ne nicht 100.000e Tote ris­kie­ren wür­de um ihr Ter­ri­to­ri­um auf mili­tä­ri­schem Wege kom­plett zu befrei­en, der durch die Pres­se ging.

Dar­auf bezieht sich Man­gott in der ZIB2 am ehes­ten und wie er dar­aus ablei­ten kann “dass Selen­skyj mit sich selbst uneins ist”, weiß nur er, und die Leu­te die neben Man­gott eben­falls behaup­ten, er wür­de nicht auf die kom­plet­te ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne bestehen.

Die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne wird von Selen­skyj seit dem ers­ten Monat des Krie­ges, und aktu­ell immer noch als Bedin­gung für Frien­des­ver­hand­lun­gen ange­führt. Die Her­stel­lung der ter­ri­to­ria­len Inte­gri­tät der Ukrai­ne wäre dann durch Ver­hand­lun­gen zu errei­chen, und nicht nur durch mili­tä­ri­sche Inter­ven­tio­nen. Und das geht jetzt seit Mona­ten so.

Und die Aus­le­gung, Selen­skyj wür­de für Frie­dens­ver­hand­lun­gen doch nur auf die Gren­zen des 23. Febru­ars pochen ist falsch. Die deutsch­spra­chi­ge Bevöl­ke­rung wird hier ein­fach ver­arscht. (Es kam bei Lanz, es kam bei Illner, …)

Die­se Gesell­schaft ist das Letzte.

Sor­ry - hier das Transkript:

Mariël­le Tweebee­ke: Ich dan­ke Ihnen für die Gele­gen­heit, mit Ihnen spre­chen zu kön­nen. Dies ist ein sehr schwie­ri­ger Moment für Ihr Land. Ich weiß das wirk­lich zu schät­zen. Der Krieg dau­ert nun bereits drei Mona­te an. Wie geht es ihnen?

Volo­dym­yr Zelen­skyj: Dan­ke für die Fra­ge. Zuerst möch­te ich mich für das Gespräch bedan­ken, und für die Chan­ce mei­ne Wor­te an die Nie­der­lan­de rich­ten zu können.

MT: Sie sind ein Staats­ober­haupt in Zei­ten des Krie­ges, aber gleich­zei­tig sind sie das Ober­haupt einer jun­gen Fami­lie. Wie ist das für sie als Vater?

VS: Du musst ein Vor­bild für die Kin­der sein, in die­sem Krieg und im Leben. Du musst dei­nen Kin­dern zei­gen, dass man das Leben auf unter­schied­li­che Wei­se ange­hen kann, die dich nicht zum Ver­rä­ter wer­den lassen.

MT: Was erzäh­len sie ihnen über den Krieg, und wie erklä­ren sie ihnen, was pas­siert ist?

VS: Ich hat­te kei­ne Gele­gen­heit ihnen etwas zu sagen. Wir sind mor­gens von den Rake­ten­an­grif­fen auf­ge­wacht. Ich hat­te bereits gepackt, ich wuss­te, dass der Krieg aus­ge­bro­chen war. Um vier Uhr mor­gens ging ich zur Arbeit, hier­hin, wo wir jetzt sind und danach haben wir uns mona­te­lang nicht gesehen.

MT: Las­sen Sie uns über den Krieg spre­chen, las­sen Sie uns über die mili­tä­ri­sche Lage im Osten spre­chen. Ich gehe davon aus, dass Sie stän­dig von ihrem Mili­tär­stab infor­miert wer­den. Was ist der letz­te Stand?

VS: Im Osten der Ukrai­ne gibt es Risi­ken und Her­aus­for­de­run­gen. Die rus­si­sche Armee will uns unbe­dingt umzin­geln. Wir sehen immer mehr rus­si­sche Aus­rüs­tung und Sol­da­ten. Es gibt eine Anhäu­fung von Artil­le­rie­pan­zern und gepan­zer­ten Fahr­zeu­gen. Das ist über­all der rus­si­sche Ansatz: Sie schal­ten die loka­len Fern­seh­sen­de­sta­tio­nen und Inter­net­an­bie­ter aus. Nur ihre eige­nen Fern­seh­ka­nä­le sen­den wei­ter. Dann beginnt der Infor­ma­ti­ons­krieg. Alle ört­li­chen Auto­ri­tä­ten wer­den gefol­tert, sie wer­den in Kel­ler gesperrt, getötet…
[Pan­zer mit Sol­da­ten dar­auf wird eingeblendet.]
… oder sie wer­den vor der Bevöl­ke­rung gefoltert.
Mit­tel­al­ter­li­che Praktiken.
Es ist, als wür­den sie das­sel­be Hand­buch ver­wen­den wie die Nazis.
So läuft das. Sie fol­tern oder töten sie.
Wenn die Behör­den koope­rie­ren wol­len, kön­nen sie unter­schrei­ben, zu blei­ben. Danach muss in allen Schu­len Rus­sisch gespro­chen werden.

MT: Vie­le Ukrai­ner glau­ben, dass sie die­sen Krieg gewin­nen kön­nen. Wie gehen sie mit die­sen Erwar­tun­gen um?

VS: Die Ukrai­ne wird die­sen Krieg defi­ni­tiv gewin­nen. Die Fra­ge ist, zu wel­chem ​​Preis und wann.

MT: Was bedeu­tet für sie gewinnen?

VS: Gewin­nen bedeu­tet für mich, unser gan­zes Ter­ri­to­ri­um zurückzuerobern.
Ich glau­be nicht, dass wir unser gesam­tes Ter­ri­to­ri­um mit einer mili­tä­ri­schen Inter­ven­ti­on zurück­er­obern kön­nen. Wenn wir uns dazu ent­schlie­ßen, wird uns das hun­dert­tau­send Leben kosten.
[Bil­der von Grä­bern wer­den eingeblendet.]
Das ist sicher. Genau das pas­siert jetzt mit den Rus­sen. Sie ver­lie­ren immer mehr Men­schen, je län­ger der Krieg dau­ert. Nicht Tau­sen­de, son­dern Hun­dert­tau­sen­de. Jeder Ukrai­ner will den Don­bas und die Krim zurückerobern.
Ich den­ke, wir müs­sen zu den Gren­zen des 24. Febru­ar zurück kom­men, als die Rus­sen in unser Land ein­mar­schier­ten. [Das Wort “Mini­mum” fällt, wird aber in den Unter­ti­teln nicht übersetzt.]
Danach kön­nen wir nur auf diplo­ma­ti­scher Ebe­ne über die Wie­der­her­stel­lung unse­res Ter­ri­to­ri­ums dis­ku­tie­ren. [Vor­be­din­gung für Verhandlungen.]

MT: Was mei­nen sie damit? Mei­nen sie, sie kön­nen damit leben, dass die Krim in rus­si­schen Hän­den bleibt? Und Tei­le des Don­bas ebenfalls?

VS: Nein, so habe ich das nicht gemeint. Wir wol­len bis zum letz­ten Atem­zug kämp­fen, aber nicht bis zum letz­ten Mann.
[Ein Bild von stol­zen weib­li­chen Sol­da­ten im Spa­lier ste­hend, mit vier ukrai­ni­schen Fah­nen im Hin­ter­grund und Fokus auf das Gesicht der am ent­schlos­sens­ten aus­se­hen­den Sol­da­tin wird ein­ge­blen­det. Der Fokus ist via Bild­be­ar­bei­tung gewählt.] Damit kön­nen sie leben, aber ich nicht.

Wenn wir auf die Gren­ze vom 24. Febru­ar zurück­ge­hen, weiß ich dass Russ­land sich zu Ver­hand­lun­gen bereit erklä­ren wird. [Vor­be­din­gun­gen für Verhandlungen.]

Wir sind nicht bereit, die Krim, oder den Don­bas Russ­land zu über­las­sen. Das wer­den wir nie­mals anerkennen.

MT: Unter wel­chen Bedin­gun­gen wol­len sie ver­han­deln. Sie wol­len mit Vla­di­mir Putin in Per­son ver­han­deln, auf dem Level von Präsidenten?

VS: Es ist nicht so, dass ich kei­ne Ver­ab­re­dun­gen mit ihm machen möch­te, aber Sie kön­nen kei­ne Ver­ein­ba­run­gen mit jemand ande­rem tref­fen. Er hat einen Staat geschaf­fen, in dem nie­mand ande­res Ent­schei­dun­gen tref­fen kann. Es spielt kei­ne Rol­le, was sein Außen­mi­nis­ter sagt. Es spielt kei­ne Rol­le, ob er eine Dele­ga­ti­on schickt, um mit uns zu spre­chen. Alle die­se Leu­te bedeu­ten lei­der nichts.

MT: Aber was ist der bes­te Zeit­punkt um an den Dis­kus­si­ons­tisch zurückzukehren?

VS: Wann auch immer. Jetzt.

MT: Unter wel­chen Bedingungen?

VS: Wel­che Kon­di­tio­nen kön­nen sie von uns ver­lan­gen? Sie kamen zu uns und sie töten uns.

MT: Was ist ihr Kriegsziel?

VS: Wir haben ein Ziel: Frie­den in unse­rem Land.

MT: Mark Rut­te unser Pre­mier­mi­nis­ter, spricht über sie als einen Freund. Wie wür­den sie ihre Bezie­hung mit ihm beschreiben?

VS: Wir haben Kon­takt. Wir haben eine ziem­lich herz­li­ches Ver­hält­nis. Es gibt Län­der mit denen ich lei­der kein so gutes Ver­hält­nis habe. Das Ver­hält­nis wur­de durch eine Mei­nungs­ver­schie­den­heit über die aktu­el­le Situa­ti­on gestört. Das gilt nicht für Mark. Wir haben unse­re Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten, wenn es um die EU geht. Ja. Das ist nun eine Tat­sa­che. Das ist Fakt.

MT: Mark Rut­te hat eine Anspra­che an ihr Par­la­ment gehal­ten, vor eini­gen Wochen, und er hat die Ukrai­ne als einen Teil der euro­päi­schen Fami­lie bezeich­net. Aber er hat sich nicht bezüg­lich einer EU Mit­glied­schaft geäu­ßert. War das für sie enttäuschend?

VS: Wis­sen sie, ges­tern habe ich mit ihm gespro­chen. Ich den­ke, dass Men­schen im all­ge­mei­nen ein herz­li­ches Ver­hält­nis pfle­gen kön­nen, wenn sie offen und ehr­lich mit­ein­an­der sind. Ich war ehr­lich zu Mark. Ich habe ihm unge­fähr das glei­che gesagt, was sie gera­de zu mir gesagt haben. Vie­len Dank für ihre Rede, sie hel­fen uns wirk­lich und dafür bin ich sehr dank­bar. Aber in Bezug auf die EU haben Sie zu all den Din­gen geschwie­gen, die wir nun hören woll­ten. Ich sag­te ganz offen zu ihm, wenn Sie fin­den, dass in der EU kein Platz für uns ist, dann musst du das klar sagen. Weil…

MT: Und was hat er gesagt?

VS: Er sag­te, ich den­ke, es gibt defi­ni­tiv Platz in der EU für die Ukrai­ne, aber dann müs­sen Sie bestimm­te Schrit­te durch­lau­fen. Ich ver­ste­he auch, dass er einen schwie­ri­gen Spa­gat voll­füh­ren muss, schließ­lich gehen die poli­ti­schen Mei­nun­gen in den Nie­der­lan­den aus­ein­an­der. Aber… aber ich den­ke, dass es nicht ehr­lich ist.

Es ist unge­fähr das­sel­be wie das, was Russ­land über unse­re Unab­hän­gig­keit sagt.

Man­che Poli­ti­ker sagen so etwas. Dass in der EU noch kein Platz für uns ist. Wor­auf grün­den sie das? Ich ver­ste­he das nicht wirklich.

MT: War­um ist das nicht ehrlich?

Denn Poli­ti­ker wer­den vom Volk gewählt und 62 % der nie­der­län­di­schen Bevöl­ke­rung befür­wor­ten die EU-Mitgliedschaft der Ukrai­ne. Des­halb ist es unehr­lich: Denn die Bevöl­ke­rung unter­stützt uns. Das ist, was mich betrifft, ehr­lich und…

MT: Aber erin­nern sie sich an das nie­der­län­di­sche Referendum?

VS: Ja.

MT: Es hat das Asso­zia­ti­ons­ab­kom­men mit ihrem Land abge­lehnt und Mark Rut­te muss­te ver­spre­chen, dass die­ses Abkom­men nicht zur EU Mit­glied­schaft der Ukrai­ne füh­ren würde.

VS: Es geht jetzt um den Kan­di­da­ten­sta­tus für die Mit­glied­schaft in der Euro­päi­schen Uni­on. Das ist vor­erst ein­mal ein Signal. Kämp­fen die­se Poli­ti­ker jetzt gegen unse­ren Bei­tritts­kan­di­da­ten­sta­tus? Gegen ein Signal das uns stär­ker macht? Im Kampf, den wir zu Hau­se gegen Russ­land füh­ren? Es geht um das Signal.

MT: Pro­ble­me wie Kor­rup­ti­on exis­tie­ren noch immer. Der Krieg hat das nicht verändert.

VS: Wol­len Sie damit sagen, dass es jetzt Kor­rup­ti­on in der Ukrai­ne gibt, Mari­el­le? Ist es Ihnen auf­ge­fal­len, dass es in der Ukrai­ne jetzt Kor­rup­ti­on gibt? Hast du hier gewohnt? Haben Sie hier schon ein­mal gelebt?

MT: Sie sind gewillt alle Vor­be­din­gun­gen für eine EU Mit­glied­schaft zu erfüllen?

VS: Nein, nein, das habe ich dich nicht gefragt, Mari­el­le. Mei­ne Fra­ge ist, haben Sie hier in der Ukrai­ne gelebt?

MT: Nein.

VS: Nein. Wie kön­nen Sie dann sagen, dass es jetzt Kor­rup­ti­on in der Ukrai­ne gibt? Wie? Sie kön­nen Ihr eige­nes Unter­neh­men gründen. 

MT: Durch Offi­zi­el­le Berichte.

VS: Was macht sie offi­zi­ell? Woher kom­men die­se offi­zi­el­len Berich­te? Von wo her?

MT: Wei­sen sie hier­mit zurück, dass es Kor­rup­ti­ons­pro­ble­me gibt?

VS: Die Rus­si­sche Föde­ra­ti­on behaup­tet dass wir Nazis sind und sie stüt­zen das auf die­se “offi­zi­el­len Berich­te”. Ja, es gibt Pro­ble­me. Sie haben sie in vie­len Län­dern. Sie haben sie auch in vie­len EU-Ländern. Ich ver­ste­he, dass es hier Not­wen­dig­kei­ten gibt. Es gibt Refor­men, die wir noch brau­chen und umset­zen wol­len. Und das tun wir nicht für die EU, son­dern für uns. Wir wol­len sie umset­zen. Wir müs­sen auch. Aber das dau­ert. Du machst das nicht ein­fach. Wir sind auch nicht sofort mor­gen EU-Mitglieder. Wir möch­ten Mit­glieds­kan­di­dat werden.

MT: Es wird Jahr­zehn­te dau­ern. Wenn es über­haupt dazu kommt.

VS: Woher weißt du das? Erzähl es mir. du weißt alles Mari­el­le. War­um hast du mich nicht gewarnt?

MT: Sie wis­sen, dass es nicht in einem Tag pas­sie­ren wird? Sie wis­sen, dass es Jah­re dauert?

VS: (Wech­selt erst­mals auf eng­lisch um direkt zu kon­fron­tie­ren.) Ich habe von Putin gehört, dass die Über­na­me der Ukrai­ne drei Tage dau­ern soll­te. Und ich habe es von vie­le ande­ren Län­dern eben­falls gehört und nicht nur Län­dern in der EU, und ich hat­te vie­le Tele­fon­ge­sprä­che, dass ich in drei Tagen ermor­det wer­den wür­de. Und ich hab oft gehört, nimm jetzt dei­ne Fami­lie und geh weg aus Kiew, du soll­test das jetzt machen. Du bist ein star­ker Mann, aber du soll­test jetzt nicht in der Ukrai­ne sein. Ich hab das oft gehört. Aber ich glau­be an Fak­ten. An Fak­ten wie wir sit­zen jetzt mit ihnen in Kiew zusammen.

[Trans­pa­ren­cy inter­na­tio­nal, Kor­rup­ti­ons­wahr­neh­mungs­in­dex: click]

MT: Pre­si­dent Macron hat eine Alter­na­ti­ve zu einer EU Mit­glied­schaft ins Gespräch gebracht um ein Teil der poli­ti­schen Fami­lie in der Euro­päi­schen Uni­on zu wer­den. Ist das eine Opti­on für sie? Eine alter­na­ti­ve Option?

VS: Nein, ich den­ke nicht. Ich den­ke Prä­si­dent Macron hat mir das sel­be vor­ge­schla­gen was mir auch Pre­mier­mi­nis­ter Rut­te und Kazler Scholz vor­ge­schla­gen haben [Anm.: Seit heu­te auch Neham­mer.]. Ich den­ke sie haben ihren eige­nen Vor­schlag einen geein­ten Vor­schlag. Wir brau­chen ihn nicht. Wir brau­chen nur die Unter­stüt­zung die­ser Län­der und wir wol­len kei­ne Alternativen.

MT: Sie sind mit der rus­si­schen Spra­che groß gewor­den, sie haben auch für eini­ge Jah­re in Mos­kau gelebt, nach all dem was Russ­land ihrem Land ange­tan hat, sind sie immer noch gewillt die­se Spra­che zu sprechen?

VS: *bricht in schal­len­des Lachen aus* Ich den­ke dar­über nicht nach. Ich kann jede Spra­che spre­chen, die ich möch­te. Und so kann es jeder in der Ukrai­ne, aber es stimmt, dass nach diesem …

MT: Aber es exis­tiert hier so viel Hass gegen Russen..

VS: Ja, das ist es, was ich mei­ne. Seit der Inva­si­on fin­den vie­le Ukrai­ner vor allem die­je­ni­gen, die Rus­sisch spre­chen aus zer­stör­ten Städ­ten, denn in den zer­stör­ten Städ­ten spre­chen die meis­ten Men­schen rus­sisch. Das ist der Osten unse­res Lan­des. Es stimmt, dass vie­le Men­schen frei­wil­lig zu ukrai­nisch gewech­selt sind. Weil Hass auf das exis­tiert, was die rus­si­sche Armee getan hat und alles was damit zu tun hat. Und doch gibt es kei­ne Spra­che die in unse­rem Land ver­bo­ten wäre, ein­schließ­lich russisch.

MT: Und ver­ste­hen sie die­ses Gefühl? Ver­ste­hen sie dass Menschen…

VS: Ja.

MT: Ist es das was sie auch selbst empfinden?

VS: Ja.

MT: Prä­si­dent Putin hat gedacht, dass er ihr Land in weni­gen Tagen erobern kann. Wie kann er ihr Land unter­schätzt haben? Hat er die Men­schen in der Ukrai­ne unter­schätzt? Hat er sie als Prä­si­dent unterschätzt?

VS: Ich schät­ze, er ist sich des­sen nicht ganz bewusst, oder er woll­te es nicht wahr­ha­ben. Oder er ver­steht nicht, dass die Men­schen hier nicht zu Russ­land gehö­ren wol­len. Die Men­schen wol­len in ihrem eige­nen Staat leben. Wahr­schein­lich hat er sei­ne eige­ne Armee über­schätzt. Das den­ke ich. Unse­re Leu­te sind erfah­ren. Wir leben seit acht Jah­ren in Kriegs­zei­ten. Die Leu­te waren in der Armee, haben sich frei­wil­lig gemel­det, seit 2014, oder sie haben in den Frei­wil­li­gen­ba­tail­lo­nen gekämpft. Ich den­ke, so viel Erfah­rung zählt auch.

MT: Haben sie Putin eben­falls unter­schätzt? Denn sie hat­ten Infor­ma­ti­on, die von den Ver­ei­nig­ten Staa­ten bereit­ge­stellt wur­de, vor eini­gen Mona­ten, dass sie eine Mili­tär­inva­si­on geplant haben, aber sie haben ihr Land nicht mobi­li­siert, bis die Rus­sen ange­grif­fen haben.

VS: Unser Land war in der Tat vor­be­rei­tet. Wir wuss­ten, dass es jeden Moment pas­sie­ren könn­te. Die USA schlu­gen vor, die Alarm­glo­cke zu läu­ten und Schüt­zen­grä­ben zu bau­en und Men­schen aus dem Land zu eva­ku­ie­ren, das hät­te ein Jahr vor der Inva­si­on erle­digt wer­den müs­sen. Ich woll­te das nicht um nicht unnö­tig Panik zu schü­ren. Es hät­te sich auf unse­re finan­zi­el­le Situa­ti­on, den Haus­halt und die Wirt­schaft aus­ge­wirkt. Das ver­ste­hen wir jetzt sehr gut. Wir haben die­se Schrit­te erst unter­nom­men, als die Inva­si­on begon­nen hat­te. Uns feh­len jetzt min­des­tens 5 Mil­li­ar­den im Haus­halt. Die­ses Defi­zit ent­stand im März. Wenn wir damit ein Jahr im Vor­aus begon­nen hät­ten, hät­ten wir jetzt kei­ne Wirt­schaft mehr. Dann stün­de es heu­te um ums sehr schlecht. Wir erkann­ten, dass der Wert unse­rer Wäh­rung fal­len wür­de und dass das Geld der Men­schen und Unter­neh­men aus dem Land flie­ßen wür­de und ich den­ke, es gab hohe Risi­ken. Was unse­re Armee betrifft - die war bereit. Das haben sie gezeigt.

MT: Wie wür­den sie Putins Posi­ti­on ein­ord­nen, könn­te es einen Sys­tem­wech­sel (Regi­me­chan­ge) geben?

VS: Ich sehe, dass die­se Füh­rungs­rie­ge seit vie­len Jah­ren zusam­men­ar­bei­tet und ich den­ke, dass sie stark mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Auf vie­len Ebe­nen. durch vie­le Taten und Ver­bre­chen. in unse­ren Augen sind es Ver­bre­chen, die uns ange­tan wer­den. Sie sind mit­ein­an­der ver­floch­ten. Ich bin mir nicht sicher, ob es an die­sem Punkt eine Macht­ver­schie­bung gibt. Ich glau­be, sie haben alle Angst vor Putin.

MT: Als ein ehe­ma­li­ger Schau­spie­ler sind sie sehr pro­fes­sio­nell in ihrem media­len Auf­tre­ten und ihrer Medi­enst­ra­te­gie, um die Auf­merk­sam­keit der Welt zu binden/zu hal­ten. Haben sie Angst davor, dass sie die­se Auf­merk­sam­keit eines Tages ver­lie­ren wer­den, in die­sem Krieg?

VS: Ich glau­be, wir haben alle Angst. Sie und wir. Wir haben es jetzt mit jeman­dem zu tun, der den Krieg nicht prag­ma­tisch betrach­tet, son­dern der einen vor­ge­fass­ten Kriegs­plan hat­te, den er umset­zen woll­te und bei dem er wuss­te wo es enden wür­de. Und sogar in wel­chem ​​Land er lan­den wür­de. Das macht es zu einem so gro­ßen Pro­blem für uns alle. Die Unter­stüt­zung Ihres Lan­des ist uns wich­tig eben­so wie die Unter­stüt­zung Ihrer Leu­te und die aller Län­der in Europa.

Wenn wir eure Auf­merk­sam­keit ver­lie­ren, dann wird das der Fall sein, weil ihr sie uns nicht mehr geben wollt. Wir haben kein Recht, die Ban­de mit den Län­dern zu ris­kie­ren, die uns unter­stüt­zen und unse­re Wer­te tei­len. Sie [Russ­land] haben einen Plan, wann ihr Krieg enden wird und wo, aber nur sie [Län­der die uns unter­stüt­zen] und wir könn­ten ihre [Russ­lands] Plä­ne bei­sei­te schie­ben. Wir müs­sen uns die Rea­li­tät anschau­en. Wir als zivi­li­sier­te Län­der soll­ten ent­schei­den, wo der Krieg endet, nicht Russland. 

src: click

Der letz­te Absatz ist beson­ders sen­sa­tio­nell, wenn man Kule­bas Posi­ti­on in Davos, von vor einer Woche bedenkt (Ver­mitt­lun­gen aller Län­der sind will­kom­men, solan­ge sie kei­ne neu­en Kon­takt­li­ni­en defi­nie­ren, und nicht die voll­stän­di­ge ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne anzwei­feln.) Ja ich den­ke auch wir soll­ten das als zivi­li­sier­te Län­der ent­schei­den. Wes­halb die Posi­ti­on Deutsch­lands, und Öster­reich ist, dass die Ukrai­ne das allei­ne ent­schei­den muss.

Kriegs­ziel? Immer noch das sel­be. Voll­stän­di­ge ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne, bis zum “let­zen Atem­zug, aber nicht bis zum let­zen Mann” [Bewuss­tes reframing um die Aus­sa­ge, die US wür­den in den Ukrai­ne bis zum letz­ten Ukrai­ner kämp­fen wol­len zu kon­ter­ka­rie­ren. Media-Training par excellence.].

edit: Die jun­ge Welt hat das Tage­buch eines ukrai­ni­schen Dol­met­schers der zum Mili­tär­dienst gegen den rus­si­schen Angriff ein­ge­zo­gen wur­de ver­öf­fent­licht.









Hinterlasse eine Antwort