Geht um diesen Kommentar, in dem Ralph Janik, Franzobel und Precht niedermacht - und dabei sophisisch gegen Aspekte argumentiert die nicht Teil der Ursprungsargumentation waren.
Erste Proklamation:
Man dürfe nicht für eine “neutrale Ukraine” argumentieren, da das hoch spekulativ sei. Außerdem dürfe man nicht über ein Ableben Putins spekulieren, da der Krieg in der russischen Bevölkerung Unterstützung genieße und ein ‘Post putinscher’ Frieden alles andere als gewiss sei.
Das Erste ist ne schlichte Lüge - eine neutrale Ukraine ist bereits aktiver Teil des Verhandlungsprozesses und war es seit Wochen. Das Problem ist die Ausgestaltung der Neutralität (Sicherheitsgarantien, weitere Militarisierung der Ukraine, …).
Das Zweite ist ein Pleonasmus. Ein Friede - innerhalb unserer neuen, grandiosen, europäischen Friedensordnung - jetzt neu - in hochgerüsteter, abschreckender, aber auch aktiverer (weiter weg von Europa) Form, ist immer alles andere als gewiss. Der Pleonasmus besteht bereits initial, aber nehmen wir hier die konkrete Ausformung ruhig mit.
Der Standard findet sich an dieser Stelle aber schon einen aufstrebenden Sophisten für ein Kommentar, der dumm genug ist nicht zu merken dass er mit seiner Argumentation andere Möglichkeit eines Kriegsausgangs, die nicht in “komplette Vertreibung der russischen Invasoren” bestehen, zur Gänze ausschließt.
So verblödet kann ich mich garnicht geben, dass mir das nicht noch während des Formulierens auffällt.
Wobei - komplett verblödet kann Ralph Janik auch nicht sein, denn er erwähnt ja dezidiert das Model Afghanistan als ideale Lösungsoption. Mehr dazu am Ende des Beitrags.
Zweite Proklamation:
Franzobels Kommentar, dass er aus Gründen der Gewaltfreiheit für passiven Widerstand, und harte Wirtschaftssanktionen wäre, wäre nicht realistisch.
Gut, hätte ich ebenfalls auseinandergenommen. Der Teil der Kritik geht in Ordnung - wobei der Verweis “autoritäre Staaten weisen eine hohe Sanktionsimmunität auf” wieder einer der verdammten Talkingpoints ist, die ich bereits zum 23 Mal gehört habe -- und im Hinblick darauf, dass wir gesellschaftlich gleichzeitig immer noch stark auf einen Sanktionsmechanismus bauen, wirkt das als Argument - dass man moralisch für einen lange anhaltenden Krieg sein müsse - wirklich gänzlich deplatziert.
Jetzt werden im Falle Franzobels, von Ralph Janik diese beiden Argumente (Sanktionen und Passiver Widerstand) aber nur herangezogen um sie zu widerlegen. Das Hauptargument Franzobels “Zu Kriegsbeginn war ich überzeugt, es wäre klüger, die Ukraine würde kapitulieren, eine Exilregierung bilden, die Bevölkerung zu friedlichem Widerstand aufrufen und mittels internationaler Sanktionen versuchen, Russland zu stoppen. Ich bin es immer noch.” wird davon nicht berührt. Denn hier haben wir es mit einer Abwägungsfrage zu tun. Dh. selbst eine hohe Sanktionsimmunität, wäre hier gegen Leid und verwirktes menschliches Leben gegenzurechnen. Aber genau das ist es was als Betrachtung öffentlich nicht mehr stattfinden darf. In der besten aller möglichen Welten, hat der beste aller möglichen Heldenpräsidenten, die besten aller möglichen Entscheidungen getroffen, um muss jetzt leider noch kurz Russland komplett besiegen, um seine Partner zur Gänze zufriedenzustellen.
Also wird gegen zwei Argumente geschossen, die das Grundargument nicht direkt berühren. Hier die versuchte Widerlegung des Zweiten:
“Ein entscheidender Erfolgsfaktor sind Überläufer aus den Reihen der Armee oder Polizei, die friedliche Proteste nicht gewaltsam niederschlagen wollen. Das lässt sich nicht 1:1 auf Besetzungen fremder Staaten ummünzen. Der russische Truppenabzug aus Afghanistan wurde jedenfalls nicht auf friedlichem Wege herbeigeführt.”
Vom Zeithorizont irgendwann mal in drei Jahren angesiedelt, wenn kein Kriegsrecht mehr ausgerufen ist, und die lokale Polizei wieder Proteste managt. Oder auf Überläufer im Militär setzend.
Wir halten nochmal fest, man dürfe nicht auf gewaltfreien Widerstand setzen, da die Ukraine auf Überläufer aus dem russischen Militär bauen müsse.
Und schon hat man zwei valide Positionen mit komplettem Schwachsinn weggehetzt.
Jetzt muss man aber noch die Öffentlichkeit überzeugen, also lässt man noch ein paar hoch emotionale Kommentare durch, die gegen Intellektuelle hetzen, da diese abseits der Realität [jetzt wird erst nochmal ordentlich weiter gestorben] leben würden.
Die Polen etwa lebten bis vor 30 Jahren (rechnet man die Turbulenzen der Post-Wende-Jahre dazu, bis vor 25 Jahren) in einer Dauerkrise, verbunden mit existentiellen Ängsten und Stress. Ein Teil der Gesellschaft riskierte sein Leben für diverse Ideale. Das machte sie resilienter gegenüber Krisen. Sie sehen diesen Krieg und den Kampf mit ganz anderen Augen als die Westler. Solche Gedanken wie die von linken westlichen Intellektuellen wird man dort vergebens suchen. Und ja, das ist eine realistische Einschätzung. Die Ukraine hat keinen anderen Ausweg als weiter zu kämpfen. Putin versteht nur diese Sprache.
ICH HASSE DIESE GESELLSCHAFT. (Das ist, inklusive der spezifischen Verwendung des Resilienzbegriffes, übrigens die Umsetzung (Operationalisierung) dieser ECFR Forderung die Gesellschaften jetzt dahingehend politisch zu manipulieren ebenfalls für eine lange anhaltende Militarisierung zu sein. Da bekommt grad wer Alpbach Brownie points. (Siehe auch: Ponto Thinktank - Integration in Alpbach))
Fasse aber trotz des immensen, hochkochenden Hasses, nochmal zum einfacheren Verständnis zusammen:
Am 31.03. beginnt der Atlantic Council mit dem Messaging, dass die Ukraine mehr Offensivwaffen fordern solle (non distinct, um keine öffentlichen Diskussionen zu provozieren), um für einen lange anhaltenden Stellungskrieg (jetzt mit prononcierteren Fronten im Osten) gewappnet zu sein.
Am 02.04. greift ein Berater des ukrainischen Präsidenten (Selenskyj ist mittlerweile offenbar nicht mehr die erste Person, wenn es um die öffentliche Darlegung strategischer Positionen geht - Berater und nicht er selbst, haben heute auch bereits die Gräueltaten in Butscha kommentiert) den Talking Point des Atlantic Council auf und fordert nunmehr ebenfalls Angriffswaffen - ohne zu sehr zu spezifizieren (das ist der neue Aspekt), jedoch nicht wie vom Atlantic Council skizziert “um den Krieg weiter zu prolongieren (war of attrition, Afghanistan Model)”, sondern um “weitere Gebiete zurückzuerobern und russische Truppen gänzlich aus der Ukraine zu vertreiben”.
Am 03.04 findet sich der Standard einen aufstrebenden Europarechtler, der fehlargumentiert um ALLE Optionen außer einem vollumfänglichen Sieg der Ukraine und der Vertreibung aller russischer Truppen, als Lösung öffentlich auszuschließen, dabei über die eigenen eingesetzten rhetorischen Mittel stolpert, und nebenbei noch öffentlich gegen Leute mit anderen Positionen hetzt. Da diese nicht tragbar seien, da ja komplett daneben. (Wertung)
Und schlägt, ebenfalls ganz nebenbei, jede Option außer einen lange andauernden Krieg per Definition als Lösungsoption komplett aus - um vollends beim Atlantic Council Standpunkt anzudocken. (Neutralität ist nicht genug, Putin wird abgesetzt ist nicht genug, …)
Will sich dem aber nicht stellen und schiebt noch schnell folgendes Reframing nach:
Daraus folgt keine westliche Kriegsgeilheit, ganz im Gegenteil. Die EU-Mitglieder sind “postheroische Gesellschaften, in denen kriegerische Gewalt und die damit verbundenen Werte keine bedeutenden Werte spielen”, wie es der deutsche Politikwissenschafter Herfried Münkler beschreibt.
Damit aber immer noch nicht genug - sieht er, der Europarechtler, wie das Atlantic Council, dezidiert Afghanistan als Vorbild, wie der Konflikt in der Ukraine gelöst werden müsse.
Standard Kommentatoren, gegen Intellekt, gegen die Wirklichkeit (Neutralität ist ein Verhandlungsgegenstand), gegen die vorgeblichen Ziele der Ukraine (“wollen kein zweites Afghanistan werden”) - aber für die Hetze gegen abweichende Meinungen. Bei gleichzeitigem Andocken an den Atlantic Council.
Wenn auch du wissen willst, welche Meinung du morgen noch aussprechen darfst, lies auch du heute schon die Qualitätszeitung deiner Wahl.
DIESE GESELLSCHAFT IST DAS ALLERLETZTE.
edit: Der Standard ist hier aber selbstredend nicht alleine, die Atlantic Council Talkingpoints [offensive weapons, but used defensively; Ukrainians can and should (morally) win] finden sich heute u.a. auch bei Times Radio (click und click) und anderen.
edit2: Eric Frey fordert jetzt auch mehr Waffen - ist sich aber nicht sicher welche, weil - non distinct. Schwer müssten sie sein..
Dafür werden auch schwere Waffen wie Panzer und Artilleriegeschütze, vielleicht auch Jets, benötigt. Die Massaker an ukrainischen Männern im Kiewer Vorort Butscha zeigen die Dringlichkeit solcher Lieferungen.
edit3: 18.04. Mehr Hetze gegen beteiligte Parteien:
click und click
edit4: 20.04. Ich hab gehört, die Öffentlichkeit will mehr Hetze? click