Wiener Zeitung heute - Gastkommentar:
Doppelmoral des Westens hilft Diktaturen
von: Maram Stern, Vizepräsident des World Jewish Congress (WJC)
src: click
Leider aber brachten die Gründung der UNO und die Kodifizierung der Menschenrechte nicht das Ende der Menschenrechtsverletzungen. Ja, die Menschenrechte selbst gerieten schnell zur Waffe in der Auseinandersetzung des Kalten Krieges. Die westlichen Staaten reklamierten - zu Recht - anhaltende Menschenrechtsverletzungen im Ostblock. In ihrer eigenen Politik außerhalb Nordamerikas und Europas waren die Menschenrechte jedoch nicht Leitstern ihres Handelns. Bei der Wahl der Verbündeten spielte deren antikommunistische Haltung die entscheidende Rolle, nicht die Behandlung der eigenen Bevölkerung. Und von Korea über Algerien bis Vietnam verstießen die USA und ihre Verbündeten gegen die grundlegendsten menschenrechtlichen Prinzipien. Die UdSSR machte sich dies zunutze und gerierte sich als Partner der Unterdrückten im antikolonialen Befreiungskampf, ohne jedoch die Rechte der dortigen Bevölkerung in Betracht zu ziehen. Für die sowjetische Politik im In- und Ausland spielten die Menschenrechte ohnedies keine Rolle.
So weit so stimmig -
Leider hat sich an diesem grundlegenden Missstand auch nach dem Kalten Krieg wenig geändert, was es den Diktatoren der Welt ermöglicht, unter Verweis auf Doppelmoral die Menschenrechte als bloßes Vehikel zur Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten zu diskreditieren.
Achso, ja das sich als “antikolonialistische Befreier gerieren” war das Problem, nicht der Verstoß der USA und ihrer Verbündeten (ob das der Wertewesten auf den Kirchenbänken in der Paulskirche bei der Friedenspreisverleihung des deutschen Buchhandels an einen Kriegspropagandisten weiß?) gegen die grundlegendsten menschenrechtlichen Prinzipien.
Das ist an der Stelle aber natürlich keine Doppelmoral. Denn gegen die Doppelmoral sind wir ja in der Überschrift.
Umso wichtiger sind neutrale Instanzen, die über die Einhaltung der Menschenrechte weltweit wachen. Neben einschlägigen Nichtregierungsorganisationen kommt diese Aufgabe vor allem der UNO zu. Sie kann sie jedoch nur erfüllen, wenn sie als objektive Sachwalterin auftritt. Freilich gilt das Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte nicht umsonst als einer der schwierigsten, wenn nicht gar der schwierigste Posten bei der UNO. Zahlreiche Mitgliedstaaten sind korrupte Diktaturen, die die Rechte ihrer Bürger mit Füßen treten, und dennoch ist der UN-Menschenrechtskommissar darauf angewiesen, auch mit ihnen zusammenzuarbeiten. Viele Bewohner des globalen Südens sehen zudem in der UNO und ihren Organisationen ein Instrument des Westens. Auch diesen Verdacht muss der neue Kommissar wirksam zerstreuen und darf folglich westliche Demokratien nicht von seiner Kritik ausnehmen.
Soweit so stimmig.
Volker Türks Vorgängerin Michelle Bachelet hat allerdings keine gute Balance gefunden. So musste Israel mehr Kritik von ihr einstecken als etwa Syrien, wo das Regime seit mehr als zehn Jahren einen brutalen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, dessen Opfer inzwischen wohl die Grenze von einer halben Million überschreiten.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Demokratien haben keinen Freifahrtschein. Ihre Verfehlungen sollen und müssen genauso kritisiert werden wie die aller anderen Staaten. Aber die Proportionen müssen gewahrt bleiben. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen müssen am schärfsten angeprangert, die dafür verantwortlichen Staaten am heftigsten kritisiert werden. Ohne diese Verhältnismäßigkeit verliert das Amt des Menschenrechtskommissars weiter an Glaubwürdigkeit, mit ihr kann es zum Instrument werden, das es immer sein sollte.
Bitte was? Israel sollte aber nicht zu sehr kritisiert werden, denn das wäre nicht verhältnismäßig und würde daher dem Ansehen des Amts des Menschenrechtskommisars schaden, deren Vorgängerin, einen sehr schlechten Job gemacht hat, in dem sie Israel zu öffentlich und daher nicht verhältnismäßig kritisiert hat?
Wir sind aber immer noch gegen Doppelmoral, oder? In der Überschrift, und im letzten Paragraph -
Der neue Menschenrechtskommissar Türk tritt ein schweres Erbe in einem harten Amt an. Wir wünschen ihm viel Erfolg für diese anspruchsvolle Aufgabe und sichern ihm unsere volle Unterstützung zu. Die Welt braucht einen starken UN-Menschenrechtskommissar mehr denn je.
Ob der Vizepräsident des World Jewish Congress für seine Medienarbeit bezahlt wird? Ich meine die rhetorische Kunstfertigkeit hier ist ja erstklassig!
Ich teile die Arbeit des Menschenrechtskommisars der Vereinten Nationen ja auch in grundsätzlich zwei Kategorien.
Gut, weil kritisiert Israel nur verhältnismäßig
und
schlecht, weil kritisiert Israel über Gebühr.
Das ist doch der Maßstab, der hier anzulegen ist. Vielleicht sollte man den neuen UNO Menschenrechtskommissar gleich in den ersten Hearings fragen, ob er vor hat Israel über die Verhältnismäßigkeit der gemittelten Schwere aller Gräuel weltweit zu kritisieren. Und wenn der dann sagt - ja, sagen wir - das ist aber nicht verhältnismäßig, denn wir im Wertewesten wollen mit dem gleichen Maßstab gemessen werden wie - wie war noch einmal die Aussage? Wie zahlreiche UNO Mitgliedstaaten die korrupte Diktaturen sind, die die Rechte ihrer Bürger mit Füßen treten?
Ich würde sagen, der Fortschritt der Menschheit is gesichert. Wir nehmen wieder einheitlich Maß - und geben das dem neuen UN Menschenrechtskommissar bereits vor Amtsantritt mit auf den Weg.
Hallali und Petri Heil!
Gut aber dass Maram Stern, Vizepräsident des World Jewish Congress (WJC), nicht das Argument der Doppelmoral nutzt um die Menschenrechte als bloßes Vehikel zur Einmischung in Israels innere Angelegenheiten zu diskreditieren.
Ist die Einhaltung der Menschenrechte jetzt absolut zu werten, oder relativ? Nein, jetzt hab ichs, die Einhaltung der Menschenrechte ist absolut zu werten, aber die öffentliche Kritik an einer Nichteinhaltung relativ an einem weltweiten Mittel abzustimmen.
Dazu die ARD heute: Israel wählt: Kommt “Bibi” zurück?
Das sind noch die substanziellen Fragen die diese Gesellschaft bewegen.
PS: Es gibt kein Gebot zur “Ausgeglichenheit” (nach Gefühl?) in der kritischen Berichterstattung im Journalismus. Aber es gibt eines bei der gegenüber Journalisten angebrachten öffentlichen Kritik des UNO Menschenrechtsbeauftragten im Zusammenhang mit Israel/Syrien Vergleichen?
Erstaunlich.
Aber nicht dass jemandem dabei die Bezeichnung Doppelmoral einfällt…
Diese Gesellschaft ist das Allerletzte, sterbt ihr Wichser.
edit: Vielleicht ist das noch nicht deutlich genug…
Also, welche Meldungen lassen sich bei einer derartigen Auslegung einer “öffentlichen Meldeschwelle” verschleiern?
Israel hat beispielsweise 2012 in Palästinensergebieten ‘nur‘ vier Kinder getötet.
Der Deutschlandfunk was seinerzeit offiziell ’schockiert’!
Jetzt hat Israel aber in einer einzigen dreitägigen Militärinitiative in diesem Jahr laut Palästinenserangaben 15 Kinder getötet.
Wir nehmen jetzt also den praktischen Schlüssel des Vizepräsidenten des World Jewish Congress (WJC) bezüglich der zur wahrenden Proportionalität in der veröffentlichten Kritik und kommen zu dem Schluss, dass - da in Syrien seit Kriegsbeginn 500.000 Menschen getötet wurden, und in Palästina in diesem Jahr nur knapp 500 (überschlagsmäßig, der Israel-Gaza-Konflikt Report für 2022 liegt noch nicht vor), im Schnitt aber etwa 200 pro Jahr seit 2011 - dass der UN Kommissar für Menschenrechte über die Menschenrechtsvergehen in Israel 250 mal weniger berichten müsse, als über die Gräuel im syrischen Bürgerkrieg.
Es wäre doch nur verhältnismäßig, wenn das heurige israelische Jahr in der New York Times einen kleinen Artikel in einer Ausgabe pro Jahr bekäme. Der Bürgerkrieg in Syrien etwa einen Artikel pro Tag - und die vier getöteten Kinder in 2012 - keine Erwähnung finden würden.
Das ist Verhältnismäßigkeit im Werte-Westen, nach Maram Stern.