Giorgia Meloni plant die „dritte Republik“ mit mehr Macht für sich selbst
Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni will die Verfassung reformieren.Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni will die Verfassung reformieren. APA / AFP / Alberto Pizzoli
07.11.2023 um 08:10
von Susanna BastaroliDie Regierungschefin hat erste Schritte zu einer radikalen Verfassungsreform gesetzt: Künftig soll der Premier (oder die Premierministerin) direkt vom Volk gewählt werden. Das bringe mehr Stabilität, sagt sie. Kritiker warnen aber vor einer „autoritären Wende“.
src: click (Die Presse)
It will be a different EU, right?
Keine Angst die progressive deutschsprachige Qualitätspresse ist dran. Sie muss nur schnell noch ein paar andere Artikel veröffentlichen…
Die Partei oder das Parteienbündnis des Wahlsiegers soll bei der gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahl durch Bonusmandate mindestens 55 Prozent der Mandate erhalten, damit sie über eine stabile Regierungsmehrheit verfügt. Sollte die Regierung bei einer Vertrauensabstimmung doch einmal die erforderliche Mehrheit verfehlen, dann soll der Staatspräsident nicht mehr wie bisher einen Kandidaten nach eigener Wahl für den Posten des Ministerpräsidenten benennen können, sondern abermals den gescheiterten Regierungschef oder einen anderen Kandidaten aus den Reihen der amtierenden Partei oder Koalition mit der Regierungsbildung beauftragen. Damit soll gewährleistet werden, dass der Wählerwille für die gesamte Legislaturperiode respektiert wird und nicht die Opposition auf halber Strecke an die Macht kommt. 2006 und 2016 scheiterten Volksabstimmungen Damit würden die Befugnisse des Staatspräsidenten deutlich eingeschränkt. Bisher ernennt der Staatschef auf Vorschlag der stärksten Partei beziehungsweise der potentiellen Koalitionspartner, aber gleichwohl nach freien Stücken, den Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten – sowohl nach einer Parlamentswahl wie auch bei einer Regierungskrise. Künftig würde er nur noch auf Vorschlag des direkt gewählten Regierungschefs dessen Kabinettsmitglieder berufen und könnte nach einer Regierungskrise nicht mehr ein Expertenkabinett unter Führung eines parteilosen Fachmanns ernennen. Außerdem sieht der Reformentwurf der Meloni-Koalition vor, dass der Staatschef keine Senatoren auf Lebenszeit – etwa Künstler und Wissenschaftler für deren Verdienste – mehr ernennen kann, sondern dass nur noch ehemalige Staatschefs für den Rest ihres Lebens einen Sitz in der kleineren Parlamentskammer erhalten. „Wir tragen auf unseren Schultern die historische Verantwortung, die Demokratie der wechselnden Mehrheiten zu konsolidieren und Italien endlich in die Dritte Republik zu führen“, sagte Meloni zur geplanten Verfassungsreform, die sie zu den wichtigsten Aufgaben ihrer Regierungszeit zählt. Als Erste Republik wird in Italien die Epoche vom Zweiten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch des überkommenen Parteiensystems – mit rechten und linken Volksparteien – angesichts des parteiübergreifenden Schmiergeldskandals „Tangentopoli“ Anfang der Neunzigerjahre bezeichnet. Stabilere Regierungen gab es aber auch in der Zweiten Republik nicht, deren Beginn der Aufstieg Berlusconis vom Frühjahr 1994 markiert. Wie schwierig eine Verfassungsreform zur Stabilisierung des Regierungssystems und der Übergang in die Dritte Republik zu erreichen sind, mussten schon Berlusconi 2006 und Matteo Renzi 2016 erfahren: Beide scheiterten krachend bei den von ihnen angestrengten Volksabstimmungen. Die Regierung zeigt sich offen für Änderungsvorschläge Auch Meloni steht vor hohen Hürden. Eine zur Annahme der Verfassungsreform erforderliche Zweidrittelmehrheit in beiden Parlamentskammern ist nicht in Sicht. Die Oppositionsparteien, namentlich die Sozialdemokraten und die linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung, lehnen das Reformvorhaben strikt ab. Sie malen das Schreckgespenst der Wiederkehr eines „starken Mannes“ im Ministerpräsidentenamt wie zu Zeiten der faschistischen Diktatur Benito Mussolinis an die Wand – ausgerechnet in Gestalt einer „starken Frau“, deren Partei ihre Wurzeln im Neofaschismus der Nachkriegszeit hat. Mit einer notwendigen Volksabstimmung könnte auch Meloni scheitern, denn die italienischen Wähler sprechen sich habituell gegen eine Schwächung der Position des Staatspräsidenten aus. Der Präsident wird weithin als neutrale Gestalt geachtet, die über dem Parteiengezänk steht und das Interesse der Nation über die Partikularinteressen der Parteien stellt. Der gegenwärtige Amtsinhaber Sergio Mattarella genießt in Umfragen Zustimmungswerte von rund 70 Prozent. Meloni ist zwar das beliebteste Regierungsmitglied, liegt aber 30 Prozentpunkte hinter Mattarella. Noch sei der Reformentwurf offen für Veränderungsvorschläge, aus der Koalition wie von der Opposition, heißt es aus dem Kabinett. Doch noch vor den Europawahlen im Juni 2024, so der Zeitplan, soll die Verfassungsreform, die auch eine stärkere differenzierte Selbstverwaltung für die zwanzig Regionen des Landes vorsieht, mit der absoluten Mehrheit von beiden Kammern des Parlaments verabschiedet werden. Und dann soll das Volk in einem Referendum entscheiden, ob in Italien die Epoche der Dritten Republik anbrechen kann.
src: click (FAZ)