Erinnert sich hier noch wer an das Profil Interview mit dem russischen Botschafter?
Das, das zuerst únkommentiert (aber mit kritischen Nachfragen versehen) erschienen ist? Worauf sich Armin Wolf gegen die offen gelassenen non denial denials gestellt und einen Faktencheck eingefordert hat?
Worauf die Redaktion des profil dann erst mal den Koller bekommen hat, sich danach selbst denunziert hat (“man habe ja nur veröffentlicht, um der Öffentlichkeit zu verdeutlichen wie russische Propaganda funktioniert” - ansonsten hätte man selbstredend zensiert…)
Und dann nur vier Tage später nachgereicht hat, wie russische Propaganda im Interview wirklich funktioniert, das dann aber in einem overspecific rebuttal?
Ich habs damals hier nicht aufgegriffen, da die Formulierung des russischen Botschafters bewusst wage (“ein Krankenhaus in Mariupol”) und die Gegendarstellung des Profil (“dieses Krankenhaus in Mariupol hatte einen Bombenkrater vor der Tür”) bewusst überspezifisch waren. Zu einem Zeitpunkt zu dem keine Internationale Untersuchungskommission ein Ergebnis verlautbart hatte - der Teil hat sich mittlerweile geändert, und es existieren der OSZE zur Folge nun glaubhafte Nachweise: click (die drei OSZE Experten waren nicht vor Ort und stützen sich auf Beweismaterial der ukrainischen Regierung sowie NGOs in dem Feld mit denen sie kommunizieren konnten) -
vor dem Hintergrund, dass die WHO 150 Angriffe auf medizinische Einrichtungen in der Ukraine dokumentiert hat - bei denen aus deren Datenbank nicht ersichtlich ist in welcher Stadt oder Region sie verübt wurden (während bellingcat in ihrer Datenbank nur eine andere Health facility in Mariupol gelistet haben (Datenbank ist hier nicht komplett)), könnten die beiden theoretisch immer noch aneinander vorbeireden -- aber diese Argumentation war selbst mir zu shaky, also hab ichs damals gelassen.
Was ich jedoch nicht so einfach verkrafte, ist der Impuls der Chefredaktion des Profil sich selbst zu denunzieren um die Veröffentlichung nachfolgend mit etwas zu rechtfertigen, was sie dann erst vier Tage später tun (den Faktencheck nachliefern). Auch das implizierte “das gehört einfach komplett zensiert” (weil das ist ja Propaganda) bereitet mir dezentes Kribbeln entlang des Rückgrads. Wie Wolf wäre ich näher an der Position ‘Veröffentlichen, aber kontextualisieren’.
Jetzt ist da aber schon wieder was passiert…
Der Wallisch hat wieder mal einen Artikel publiziert.
Hier in Auszügen:
Warum Kiews Diplomaten mit drastischen Worten vor Russland warnen
Die Verbündeten der Ukraine sollten dabei helfen, dass dieser Krieg nicht vergessen wird
Konfrontation, um Aufmerksamkeit zu erreichen
Was diese konfrontative Form der ukrainischen Diplomatie bezweckt, ist jedenfalls sonnenklar: Aufmerksamkeit erzielen, den Finger in Wunden legen, gegen das Vergessen und die Gleichgültigkeit ankämpfen. Das hat oberste Priorität – auch um den Preis zwischenzeitlicher Irritation. Um Aussprache, Klärung, sogar Versöhnung kann man sich später kümmern.
Denn in einem Fall hätte die Ukraine ihren Kampf ums Überleben schon jetzt verloren: wenn die Solidarität, die Waffenhilfe, das politische Engagement für die Verteidiger nachlassen würden; und womöglich auch die Sanktionen gegen den Aggressor. Das will, ja das muss Kiew verhindern.
Ja ich würd sagen, an der Stelle sollte man Propaganda in die Berichterstattung einbinden oder etwa nicht?
Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, versteckt sich schon seit Monaten nicht mehr hinter diplomatischer Verklausulierung, sondern spricht direkt aus, was aus Sicht der Ukraine falsch läuft in der deutschen Außenpolitik. Er schreckt nicht davor zurück, die aus Kiewer Sicht allzu Russland-freundliche Politik des vormaligen Außenministers und nunmehrigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier anzuprangern; eine Politik, die letztlich den russischen Angriff auf die Ukraine erst möglich gemacht habe. “Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you”, wetterte der Diplomat in verblüffender, für manche auch empörender Direktheit.
Andrij Melnyk wetterte: “Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you.”
Völlig undiplomatisch tritt auch der ukrainische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Sergej Kyslyzja, auf. Er sagte zu Kriegsbeginn zu Wassili Nebensja, seinem russischen Gegenüber im UN-Sicherheitsrat: “Für Kriegsverbrecher gibt es kein Fegefeuer. Sie fahren direkt zur Hölle, Botschafter.”
Gut, den Teil bei dem Selenskyj zum Sturz westlicher Regierungen durch das Volk aufruft, das schon viel weiter wäre als die Regierungen hat er ausgelassen - siehe: click
Aber man darf den Leser nicht gleich überbeanspruchen…
Abwenden darf keine Option sein
Es wäre ein Sündenfall der Verbündeten der Ukraine, würde dieser Krieg allmählich aus dem Fokus unserer Aufmerksamkeit rücken; würde unsere Betroffenheit nachlassen; würde der Umstand unwidersprochen bleiben, dass eine Brigade für offensichtliche Kriegsverbrechen vom Kreml geehrt wird.
Also in dem Fall Propaganda bitte nicht zensieren, das hätte dann ja unerwünschte Auswirkungen aufs Volk. Natürlich moralisch begründet.
Wie jetzt Widerspruch gegen die Ehrung von Kriegsverbrechern (bin ich dabei), mit Diplomatenreden zusammen hängt, die davor gehalten wurden, die darauf abzielen den Adressaten emotional nicht zu vergessen lassen, das weiß der Wallisch auch, er muss einfach die Existenz von Journalismus als Instanz ausblenden, und schon klappts. Weil, veröffentlichen, aber kontextualisieren, das geht ja nicht mehr. Entweder du bist heilig, oder du bist böse. Either you are with us, or you are the enemy.
Der Artikel ist so gut, den muss man zur Gänze selbst gelesen haben, um zu glauben was da drin steht.
edit: Besonders beliebt in diesem Zusammenhang ist auch das obligatorische, angepinnte “der Sündenfall passierte bereits 2014” Kommentar, damit man sich die Zeit dazwischen nicht zu genau ansieht. Da wir ja alle wissen dass Kriege oftmals die Folgen von Sündenfällen sind (*sarc*). Gerade die katholische Kirche kann ein Lied davon singen. Moment, wo steht die eigentlich im Moment? Ah.
edit2: Die Wienerzeitung erdreistet sich doch glatt dem zu widersprechen. Na zum Glück liest die niemand.
edit3: Irgendwie blöd, jetzt fordert Khrushcheva auf DW gerade mehr diplomatische Beziehungen zu Russland für den Fall dass das Land zukünftig weiter destabilisiert wird. Falls das eintreten sollte, glaub ich, bekommt die gesamte Profil Redaktion gleich nochmal den Koller.