Joschka, bitte sag uns wies weitergeht!

05. Oktober 2022

Der Stan­dard schreibt wie­der Pro­ject Syn­di­ca­te ab.

Wla­di­mir Putins mili­tä­ri­scher Über­fall auf die Ukrai­ne ist der Ver­such, die Zeit zurück­zu­dre­hen, zurück in jene Zeit, als Russ­land Groß­macht war und Ost­eu­ro­pa beherrsch­te. Letzt­end­lich geht es dem rus­si­schen Prä­si­den­ten sogar um die Revi­si­on des Aus­gangs des Kal­ten Krie­ges. Damit über­schätzt er sich aber völ­lig. Das eine sind sei­ne wie­der­erstan­de­nen Zaren­träu­me, das ande­re hin­ge­gen ist die Wirk­lich­keit, und in die­ser scheint sich Putin mit sei­nem Krieg mäch­tig ver­kal­ku­liert zu haben.

Fischer weiß, es geht um Impe­ria­lis­mus und Zaren­träu­me (Vier Stein­sta­tu­en Theo­rie von Fio­na Hill).

Die Ukrai­ne kann gewin­nen, weil Russ­land nicht mehr gewin­nen wird. (Ich glau­be die Kom­bi­na­ti­on ist neu.)

Wir wis­sen zwar noch immer nicht, Stand Okto­ber 2022, wie die­ser Krieg enden, wie vie­le Opfer er auf bei­den Sei­ten noch ver­lan­gen wird, aber schon heu­te kann man fest­stel­len, dass Putin die­sen Krieg nicht mehr gewin­nen kann, nicht auf dem Schlacht­feld und poli­tisch schon gar nicht.

Der Krieg ver­langt mehr Opfer, wenn mann beid­sei­tig kei­ne Ver­hand­lungs­ba­sis auf­baut. Aber lei­der der Krieg ist hier ein Ereig­nis das in sich mehr Opfer ver­langt. Das sind nicht Poli­ti­ker, oder Mili­tär­ex­per­ten die Rück­erobe­run­gen (der Angrei­fer ver­liert drei­mal mehr Sol­da­ten) oder Ver­gel­tungs­schlä­ge pla­nen - nein, der Krieg ver­langt sei­ne Opfer.

Putins Schwä­che

Sei­ne Dro­hung mit dem Ein­satz von Nukle­ar­waf­fen und die rus­si­sche Teil­mo­bi­li­sie­rung legen ganz im Gegen­teil sei­ne Schwä­che und sei­ne miss­li­che Lage auf dem ukrai­ni­schen Schlacht­feld offen. Die von ihm so genann­te “mili­tä­ri­sche Spe­zi­al­ope­ra­ti­on” ist ganz offen­sicht­lich geschei­tert und muss zu einem “Krieg” wer­den mit dem vol­len Rück­griff auf das stra­te­gi­sche Poten­zi­al Russ­lands bis hin zur Dro­hung mit einem Nuklearkrieg.

Nume­ri­sche Stär­ke ist Schwä­che, der Krieg muss­te als sol­cher dekla­riert wer­den, das ist Schwä­che (!? - im euro­päi­schen Nar­ra­tiv etwas wirr, aber nicht nur im euro­päi­schen Nar­ra­tiv - denn je mehr die Bevöl­ke­run­gen in eine Kriegs­er­zäh­lung ein­ge­bun­den wer­den, des­to höher fällt das Eska­la­ti­ons­po­ten­zi­al aus), Nukle­ar­dro­hun­gen sind ein Zei­chen von Schwä­che. Der Duk­tus hier läuft ent­lang von “nicht ernst neh­men der Geg­ner ist schwach, wir gewin­nen” - das ist - bei unkla­rem Kriegs­ver­lauf, per Defi­ni­ti­on Propaganda.

Soll­te Putin tat­säch­lich die­ses seit 1945 gel­ten­de Tabu der inter­na­tio­na­len Groß­macht­po­li­tik zer­bre­chen, so wird er nicht nur Russ­land defi­ni­tiv zu einem Paria-Staat machen und inter­na­tio­nal völ­lig iso­lie­ren. Indi­en und Chi­na wer­den die­sen Weg nicht mit­ge­hen, und die USA und die Nato wer­den nicht im Nichts­tun ver­har­ren, son­dern wohl­kal­ku­liert nicht­nu­kle­ar mili­tä­risch reagie­ren. Für Putin ist dies kein Schritt Rich­tung Sieg, son­dern eher ein ent­schei­den­der in Rich­tung sei­ner defi­ni­ti­ven Niederlage.

Inhalt­lich korrekt.

Ewi­ge Nachbarn”
Was heißt die­se Ent­wick­lung nun für Euro­pa? Russ­land und Euro­pa sind Nach­barn auf dem­sel­ben Kon­ti­nent, “ewi­ge Nach­barn”, was immer da auch noch kom­men mag.

Aus euro­päi­scher Sicht wird Russ­land fort­an wie­der zur mili­tä­ri­schen und das heißt exis­ten­ti­el­len Bedro­hung für den Kon­ti­nent. Die Euro­pä­er glaub­ten die­sen Zustand mit dem Ende des Kal­ten Krie­ges über­wun­den zu haben. Die­se Hoff­nung hat sich in unse­ren Tagen als gro­ßer Irr­tum erwie­sen. Euro­pa ist in sei­nem tie­fen Osten erneut zwei­ge­teilt, und Russ­land führt Krieg in der Ukrai­ne, um die­sen Staat aus­zu­lö­schen und sein Ter­ri­to­ri­um und sei­ne Bevöl­ke­rung gegen deren frei­en Wil­len zu vereinnahmen.

Mili­tä­ri­sche Bedro­hung für den Kon­ti­nent, da nicht die EU oder die Nato ins Tref­fen geführt wer­den kann. Da mili­tä­risch, folgt auch gleich existenziell.

So funk­tio­niert Sche­ma­ta Logik.

Unse­re mili­tä­ri­sche Auf­rüs­tung die dar­auf folgt ist dann aber kei­ne exis­ten­ti­el­le Bedro­hung für jeman­den, da sich ja jeder unse­ren Mili­tär­bünd­nis­sen anschlie­ßen kön­nen wird - um die Logik an der Stel­le sche­men­ge­recht noch ein wenig wei­ter zu führen.

Das ist das Pro­blem einer Eska­la­ti­on­spi­ra­le - von mit­tel­mä­ßi­ger Rhe­to­rik über­deckt. (Der Fol­ge­schluss von Fischer ist tat­säch­lich kei­ner. Da bräuch­te es bes­se­re Argu­men­ta­ti­on, die gibts an der Stel­le lei­der nicht.)

Ich neh­me auch an, dass die gan­zen von der Nato als “trip­wire” desi­gnier­ten Staa­ten inner­halb Euro­pas sich eben­falls nie fürch­ten muss­ten, da sie ja die freie Ent­schei­dungs­fä­hig­keit hat­ten sich der Nato anzu­schlie­ßen. Oh, nicht wirk­lich - das Nar­ra­tiv exis­tiert ja erst seit sie­ben Monaten…

Da gabs bei einer Nato Pres­se­kon­fe­renz unlängst mal einen mol­da­vi­schen Jour­na­lis­ten der nach­ge­fragt hat ob der Antrag sei­ner Regie­rung auf eine schnel­le Bei­tritts­op­ti­on… Wie soll ich sagen. Die Ant­wort fiel nicht kon­kret aus.

War für die mili­tä­risch auch gleich exis­ten­zi­ell? Oder nicht existenziell?

Die USA sind von über­ra­gen­der Bedeu­tung für die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit Euro­pas, wie uns ein wei­te­res Mal Putins Angriffs­krieg in der Ukrai­ne zeigt.”
Der Kal­te Krieg, mit der ganz aku­ten Gefahr, zu einem hei­ßen und sogar nuklea­ren zu wer­den, ist ange­sichts des Über­falls auf die Ukrai­ne und Putins nuklea­rem Säbel­ge­ras­sel zurück.

Der Kal­te Krieg inner­halb Euro­pas ist bereits ein hei­ßer Krieg, aber net­te Mög­lich­keit noch ein­mal das nuklea­re Säbel­ras­seln unter­zu­brin­gen. (Wie­der­ho­lung als rhe­to­ri­sches Mittel.)

Euro­pa wird sich dar­auf ein­zu­stel­len haben, dass es an sei­ner Ost­gren­ze von einer nuklea­ren Groß­macht direkt bedroht wird. Die­se Tat­sa­che wird die EU dau­er­haft verändern.

Noch­mal Wie­der­ho­lung als rhe­to­ri­sches Mit­tel. Euro­pa bewusst unge­nau ver­wen­det. EU oder Nato Staa­ten wur­den in der letz­ten Eska­la­ti­on auch nicht indi­rekt nukle­ar bedroht. (Es sei denn natür­lich du gehst auf ARTE “Fact­check” Level run­ter, und berufst dich auf rus­si­sches Pro­pa­gan­da Fern­se­hen - dann schon, zumin­dest die UK.) Wech­seln is Pas­siv. (“Die EU wird sich dau­er­haft ver­än­dern”). Glaubensproklamation.
(An den aktu­ell abseh­ba­ren Bud­get­grö­ßen ist das noch nicht ables­bar, aber es ist ja auch eine Proklamation.)

Die EU ist alles ande­re als eine geo­po­li­ti­sche Groß­macht. Öko­no­misch und tech­no­lo­gisch ist sie durch­aus ernst zu neh­men, aber macht­po­li­tisch bringt sie auf­grund ihrer Gespal­ten­heit und Zer­ris­sen­heit kaum ein Gewicht auf die Waa­ge. Die Kata­stro­phe des Zwei­ten Welt­kriegs hat zwar für den euro­päi­schen Eini­gungs­pro­zess gereicht, der die EU mit ihrer Rei­se­frei­heit und gemein­sa­men Wäh­rung und Markt her­vor­ge­bracht hat. Aber eine macht­po­li­ti­sche Eini­gung des Kon­ti­nents war nie­mals möglich.

Poli­tisch auch erst seit der let­zen Flücht­lings­kri­se “gewollt”. Erin­nert sich noch wer an die Euro­pa darf nicht zur Fes­tung Euro­pa wer­den Debat­ten? Nein? Bes­ser so.

Nuklea­re Erpressung

Genau dar­um wird es ange­sichts des zwei­ten Kal­ten Krie­ges in Euro­pa aber fort­an gehen müs­sen. Oder wol­len die Euro­pä­er dau­er­haft unter der mili­tä­ri­schen Bedro­hung durch Russ­land bis hin zur nuklea­ren Erpres­sung leben? Denn auch die Nato mit ihrer trans­at­lan­ti­schen Rück­ver­si­che­rung wird nur stark blei­ben, wenn die Euro­pä­er bei ihrer macht­po­li­ti­schen Inte­gra­ti­on vor­an­kom­men, höhe­re Bei­trä­ge zur gemein­sa­men Ver­tei­di­gung und Abschre­ckungs­fä­hig­keit leis­ten und ins­ge­samt dadurch den euro­päi­schen Pfei­ler der Nato als trans­at­lan­ti­scher Brü­cke stärken.

Wol­len wir dau­er­haft unter einer mili­tä­ri­schen Bedro­hung leben!? NEIN! Bau­en wir unser mili­tä­ri­sches Droh­po­ten­ti­al aus! Es ist nur folgelogisch.

Dass nur unse­re Mili­ta­ri­sie­rung die trans­at­lan­ti­sche Brü­cke (Wel­che Brü­cke? Das ist ein Bünd­nis. Die Atlan­tik­brü­cke ist eine Ver­ei­ni­gung. Brü­cken­bau­en ist das defi­ni­tiv nicht mehr.) stär­ken kann ist in der Theo­rie Schwach­sinn. Aber dar­um geht es hier nicht, es wird nur die US Logik bedient - ja wir zah­len auch ger­ne lang­fris­tig 2% unse­res GDPs und schi­cken unse­re Söh­ne in den Pazi­fik. Passt schon.

Brü­cken bau­en, muss man ja jetzt mili­tä­risch, nicht öko­no­misch, nicht diplo­ma­tisch, und schon gar nicht huma­ni­tär. Nein, die guten Josch­ka Fischer Brü­cken stärkt man nur durch eine Stär­kung der Nato.

Die USA sind von über­ra­gen­der Bedeu­tung für die Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit Euro­pas, wie uns ein wei­te­res Mal Putins Angriffs­krieg in der Ukrai­ne zeigt.

Ja, NATO ohne US wäre im Moment ein wenig schwer. Wir erin­nern uns an den Hirn­tot Sager? Der war eine Situationsbeschreibung.

Es ist aber fas­zi­nie­rend, dass wir uns in “wir sind unwür­dig” Dar­bie­tun­gen erge­hen zu haben, wenn aus­nahms­los jedes Kom­men­tar eines jeden voll­jäh­ri­gen Indi­vi­du­ums noch zu Kriegs­be­ginn “also dass es noch ein­mal Krieg gibt, hät­te ich ja nie geglaubt” war. Es ist unglaub­lich wie schnell das auf “HOCHRÜSTEN JETZT - UND DEN US DANKEN” gewech­selt hat, wäh­rend wird doch die Mona­te vor der Eska­la­ti­on zum Krieg nicht betrach­ten dür­fen. Auch wenn wir sie an den Pelo­si Rei­sen nach Chi­na und in den offi­zi­el­len Äuße­run­gen die dann vom Wei­ßen Haus wie­der zurück­ge­nom­men wer­den, noch ein­mal 1:1 erle­ben dür­fen. Im Zeit­al­ter der “big power competition”.

Moment, ich glau­be ich darf an der Stel­le noch ein­mal Euro­pa ist unwür­dig und kei­ne ech­te mili­tä­ri­sche Groß­macht sagen, weil Fischer das jeman­dem vor­wer­fen möch­te. Ich neh­me an der Nach­kriegs­ge­nera­ti­on vor 1968.

Nach den Erfah­run­gen mit Donald Trump stellt sich aber die Fra­ge für die Euro­pä­er, ob auch der nächs­te und über­nächs­te Prä­si­dent an der trans­at­lan­ti­schen Soli­da­ri­tät fest­hal­ten wird.

Naja, stimmt auch nicht wirk­lich. Solan­ge die GOP in ihrer heu­ti­gen Aus­prä­gung über­lebt ist Außen­po­li­tik immer noch “bipar­ti­san”. Wenn Mitch McCon­nell abge­sägt wird, wirds haa­rig. Die Sim­pli­fi­zie­rung, dass sich das mit Trump dreht, stimmt in der Form nicht. Was aber nie­man­den in Euro­pa dar­an hin­dert sie andau­ernd zu wiederholen.

Wün­schens­wert wäre es, aber sicher ist das nicht mehr.

Ja - dan­ke, wahr­schein­lich ist es aber trotz­dem noch. 

Fischer will an der Stel­le der Öffent­lich­keit sicher die Fein­hei­ten poli­ti­schen Risi­ko­ma­nage­ments erklären.

Umso wich­ti­ger wer­den die euro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­bei­trä­ge und die macht­po­li­ti­sche Inte­gra­ti­on der EU für die trans­at­lan­ti­schen Bezie­hun­gen sein.

Anhal­ten­de Bedrohung

Die anhal­ten­de Bedro­hung der euro­päi­schen Ost­gren­ze durch Russ­land wird auch den Schwer­punkt der EU wei­ter nach Osten ver­la­gern und den öst­li­chen Mit­glied­staa­ten ein grö­ße­res Gewicht im Kon­zert der Gemein­schaft ver­lei­hen. Die EU wird dadurch neben der Rechts­ge­mein­schaft und dem gemein­sa­men Markt zu einer Sicher­heits­ge­mein­schaft wer­den, eng ver­zahnt mit der Nato, wie der Bei­tritts­wunsch zur Nato durch die bei­den EU-Mitgliedstaaten Finn­land und Schwe­den ganz prak­tisch zeigt.

Sor­ry, es liegt viel­leicht an mir, aber ich lese da nur US Mili­tär­ba­sen in Ost­block­staa­ten, Auf­ga­be des Ein­stim­mig­keits­prin­zips und EU Erwei­te­rung in zwei Geschwin­dig­kei­ten raus.

Das der Bevöl­ke­rung als “Sicher­heit, die sie sich immer gewünscht hat” zu ver­kau­fen, geht tat­säch­lich nur, wenn du wie Ste­fan Leh­ne dar­in das “Zukunfts­nar­ra­tiv EU für die Bevöl­ke­rung” siehst.

Gegen­wär­tig geht es vor allem dar­um, die ganz aktu­el­len Bedro­hun­gen und Gefah­ren gemein­sam abzu­weh­ren. Wel­che insti­tu­tio­nel­len Ver­än­de­run­gen im Gebäu­de der EU aus der ver­än­der­ten Sicher­heits­ar­chi­tek­tur in Euro­pa not­wen­dig wer­den, wird uns die Zukunft zeigen.

Wie lan­ge kann sich Öster­reich noch gegen “die Nato ist sehr an Gesprä­chen inter­es­siert” stellen?

Ob Putin wohl wuss­te, was er tat, als er den Befehl zum Angriff auf die Ukrai­ne gab? Man wird dies wohl nie mit Gewiss­heit erfah­ren. Die euro­päi­sche Frie­dens­ord­nung wur­de durch ihn zer­trüm­mert, und die Welt und vor allem die Euro­pä­er, die Nach­barn Russ­lands auf dem Kon­ti­nent, wer­den sich dar­auf ein­zu­stel­len haben. Ein wei­te­res Mal geht es um die Ver­tei­di­gung von Frei­heit, Frie­den und Demo­kra­tie in Euro­pa. (Josch­ka Fischer, Copy­right: Pro­ject Syn­di­ca­te, 4.10.2022)

Muss ich dazu noch etwas sagen? Das ist ein Ber­nays State­ment.









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