Der Standard schreibt wieder Project Syndicate ab.
Wladimir Putins militärischer Überfall auf die Ukraine ist der Versuch, die Zeit zurückzudrehen, zurück in jene Zeit, als Russland Großmacht war und Osteuropa beherrschte. Letztendlich geht es dem russischen Präsidenten sogar um die Revision des Ausgangs des Kalten Krieges. Damit überschätzt er sich aber völlig. Das eine sind seine wiedererstandenen Zarenträume, das andere hingegen ist die Wirklichkeit, und in dieser scheint sich Putin mit seinem Krieg mächtig verkalkuliert zu haben.
Fischer weiß, es geht um Imperialismus und Zarenträume (Vier Steinstatuen Theorie von Fiona Hill).
Die Ukraine kann gewinnen, weil Russland nicht mehr gewinnen wird. (Ich glaube die Kombination ist neu.)
Wir wissen zwar noch immer nicht, Stand Oktober 2022, wie dieser Krieg enden, wie viele Opfer er auf beiden Seiten noch verlangen wird, aber schon heute kann man feststellen, dass Putin diesen Krieg nicht mehr gewinnen kann, nicht auf dem Schlachtfeld und politisch schon gar nicht.
Der Krieg verlangt mehr Opfer, wenn mann beidseitig keine Verhandlungsbasis aufbaut. Aber leider der Krieg ist hier ein Ereignis das in sich mehr Opfer verlangt. Das sind nicht Politiker, oder Militärexperten die Rückeroberungen (der Angreifer verliert dreimal mehr Soldaten) oder Vergeltungsschläge planen - nein, der Krieg verlangt seine Opfer.
Putins Schwäche
Seine Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaffen und die russische Teilmobilisierung legen ganz im Gegenteil seine Schwäche und seine missliche Lage auf dem ukrainischen Schlachtfeld offen. Die von ihm so genannte “militärische Spezialoperation” ist ganz offensichtlich gescheitert und muss zu einem “Krieg” werden mit dem vollen Rückgriff auf das strategische Potenzial Russlands bis hin zur Drohung mit einem Nuklearkrieg.
Numerische Stärke ist Schwäche, der Krieg musste als solcher deklariert werden, das ist Schwäche (!? - im europäischen Narrativ etwas wirr, aber nicht nur im europäischen Narrativ - denn je mehr die Bevölkerungen in eine Kriegserzählung eingebunden werden, desto höher fällt das Eskalationspotenzial aus), Nukleardrohungen sind ein Zeichen von Schwäche. Der Duktus hier läuft entlang von “nicht ernst nehmen der Gegner ist schwach, wir gewinnen” - das ist - bei unklarem Kriegsverlauf, per Definition Propaganda.
Sollte Putin tatsächlich dieses seit 1945 geltende Tabu der internationalen Großmachtpolitik zerbrechen, so wird er nicht nur Russland definitiv zu einem Paria-Staat machen und international völlig isolieren. Indien und China werden diesen Weg nicht mitgehen, und die USA und die Nato werden nicht im Nichtstun verharren, sondern wohlkalkuliert nichtnuklear militärisch reagieren. Für Putin ist dies kein Schritt Richtung Sieg, sondern eher ein entscheidender in Richtung seiner definitiven Niederlage.
Inhaltlich korrekt.
“Ewige Nachbarn”
Was heißt diese Entwicklung nun für Europa? Russland und Europa sind Nachbarn auf demselben Kontinent, “ewige Nachbarn”, was immer da auch noch kommen mag.Aus europäischer Sicht wird Russland fortan wieder zur militärischen und das heißt existentiellen Bedrohung für den Kontinent. Die Europäer glaubten diesen Zustand mit dem Ende des Kalten Krieges überwunden zu haben. Diese Hoffnung hat sich in unseren Tagen als großer Irrtum erwiesen. Europa ist in seinem tiefen Osten erneut zweigeteilt, und Russland führt Krieg in der Ukraine, um diesen Staat auszulöschen und sein Territorium und seine Bevölkerung gegen deren freien Willen zu vereinnahmen.
Militärische Bedrohung für den Kontinent, da nicht die EU oder die Nato ins Treffen geführt werden kann. Da militärisch, folgt auch gleich existenziell.
So funktioniert Schemata Logik.
Unsere militärische Aufrüstung die darauf folgt ist dann aber keine existentielle Bedrohung für jemanden, da sich ja jeder unseren Militärbündnissen anschließen können wird - um die Logik an der Stelle schemengerecht noch ein wenig weiter zu führen.
Das ist das Problem einer Eskalationspirale - von mittelmäßiger Rhetorik überdeckt. (Der Folgeschluss von Fischer ist tatsächlich keiner. Da bräuchte es bessere Argumentation, die gibts an der Stelle leider nicht.)
Ich nehme auch an, dass die ganzen von der Nato als “tripwire” designierten Staaten innerhalb Europas sich ebenfalls nie fürchten mussten, da sie ja die freie Entscheidungsfähigkeit hatten sich der Nato anzuschließen. Oh, nicht wirklich - das Narrativ existiert ja erst seit sieben Monaten…
Da gabs bei einer Nato Pressekonferenz unlängst mal einen moldavischen Journalisten der nachgefragt hat ob der Antrag seiner Regierung auf eine schnelle Beitrittsoption… Wie soll ich sagen. Die Antwort fiel nicht konkret aus.
War für die militärisch auch gleich existenziell? Oder nicht existenziell?
“Die USA sind von überragender Bedeutung für die Verteidigungsfähigkeit Europas, wie uns ein weiteres Mal Putins Angriffskrieg in der Ukraine zeigt.”
Der Kalte Krieg, mit der ganz akuten Gefahr, zu einem heißen und sogar nuklearen zu werden, ist angesichts des Überfalls auf die Ukraine und Putins nuklearem Säbelgerassel zurück.
Der Kalte Krieg innerhalb Europas ist bereits ein heißer Krieg, aber nette Möglichkeit noch einmal das nukleare Säbelrasseln unterzubringen. (Wiederholung als rhetorisches Mittel.)
Europa wird sich darauf einzustellen haben, dass es an seiner Ostgrenze von einer nuklearen Großmacht direkt bedroht wird. Diese Tatsache wird die EU dauerhaft verändern.
Nochmal Wiederholung als rhetorisches Mittel. Europa bewusst ungenau verwendet. EU oder Nato Staaten wurden in der letzten Eskalation auch nicht indirekt nuklear bedroht. (Es sei denn natürlich du gehst auf ARTE “Factcheck” Level runter, und berufst dich auf russisches Propaganda Fernsehen - dann schon, zumindest die UK.) Wechseln is Passiv. (“Die EU wird sich dauerhaft verändern”). Glaubensproklamation.
(An den aktuell absehbaren Budgetgrößen ist das noch nicht ablesbar, aber es ist ja auch eine Proklamation.)
Die EU ist alles andere als eine geopolitische Großmacht. Ökonomisch und technologisch ist sie durchaus ernst zu nehmen, aber machtpolitisch bringt sie aufgrund ihrer Gespaltenheit und Zerrissenheit kaum ein Gewicht auf die Waage. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs hat zwar für den europäischen Einigungsprozess gereicht, der die EU mit ihrer Reisefreiheit und gemeinsamen Währung und Markt hervorgebracht hat. Aber eine machtpolitische Einigung des Kontinents war niemals möglich.
Politisch auch erst seit der letzen Flüchtlingskrise “gewollt”. Erinnert sich noch wer an die Europa darf nicht zur Festung Europa werden Debatten? Nein? Besser so.
Nukleare Erpressung
Genau darum wird es angesichts des zweiten Kalten Krieges in Europa aber fortan gehen müssen. Oder wollen die Europäer dauerhaft unter der militärischen Bedrohung durch Russland bis hin zur nuklearen Erpressung leben? Denn auch die Nato mit ihrer transatlantischen Rückversicherung wird nur stark bleiben, wenn die Europäer bei ihrer machtpolitischen Integration vorankommen, höhere Beiträge zur gemeinsamen Verteidigung und Abschreckungsfähigkeit leisten und insgesamt dadurch den europäischen Pfeiler der Nato als transatlantischer Brücke stärken.
Wollen wir dauerhaft unter einer militärischen Bedrohung leben!? NEIN! Bauen wir unser militärisches Drohpotential aus! Es ist nur folgelogisch.
Dass nur unsere Militarisierung die transatlantische Brücke (Welche Brücke? Das ist ein Bündnis. Die Atlantikbrücke ist eine Vereinigung. Brückenbauen ist das definitiv nicht mehr.) stärken kann ist in der Theorie Schwachsinn. Aber darum geht es hier nicht, es wird nur die US Logik bedient - ja wir zahlen auch gerne langfristig 2% unseres GDPs und schicken unsere Söhne in den Pazifik. Passt schon.
Brücken bauen, muss man ja jetzt militärisch, nicht ökonomisch, nicht diplomatisch, und schon gar nicht humanitär. Nein, die guten Joschka Fischer Brücken stärkt man nur durch eine Stärkung der Nato.
Die USA sind von überragender Bedeutung für die Verteidigungsfähigkeit Europas, wie uns ein weiteres Mal Putins Angriffskrieg in der Ukraine zeigt.
Ja, NATO ohne US wäre im Moment ein wenig schwer. Wir erinnern uns an den Hirntot Sager? Der war eine Situationsbeschreibung.
Es ist aber faszinierend, dass wir uns in “wir sind unwürdig” Darbietungen ergehen zu haben, wenn ausnahmslos jedes Kommentar eines jeden volljährigen Individuums noch zu Kriegsbeginn “also dass es noch einmal Krieg gibt, hätte ich ja nie geglaubt” war. Es ist unglaublich wie schnell das auf “HOCHRÜSTEN JETZT - UND DEN US DANKEN” gewechselt hat, während wird doch die Monate vor der Eskalation zum Krieg nicht betrachten dürfen. Auch wenn wir sie an den Pelosi Reisen nach China und in den offiziellen Äußerungen die dann vom Weißen Haus wieder zurückgenommen werden, noch einmal 1:1 erleben dürfen. Im Zeitalter der “big power competition”.
Moment, ich glaube ich darf an der Stelle noch einmal Europa ist unwürdig und keine echte militärische Großmacht sagen, weil Fischer das jemandem vorwerfen möchte. Ich nehme an der Nachkriegsgeneration vor 1968.
Nach den Erfahrungen mit Donald Trump stellt sich aber die Frage für die Europäer, ob auch der nächste und übernächste Präsident an der transatlantischen Solidarität festhalten wird.
Naja, stimmt auch nicht wirklich. Solange die GOP in ihrer heutigen Ausprägung überlebt ist Außenpolitik immer noch “bipartisan”. Wenn Mitch McConnell abgesägt wird, wirds haarig. Die Simplifizierung, dass sich das mit Trump dreht, stimmt in der Form nicht. Was aber niemanden in Europa daran hindert sie andauernd zu wiederholen.
Wünschenswert wäre es, aber sicher ist das nicht mehr.
Ja - danke, wahrscheinlich ist es aber trotzdem noch.
Fischer will an der Stelle der Öffentlichkeit sicher die Feinheiten politischen Risikomanagements erklären.
Umso wichtiger werden die europäischen Verteidigungsbeiträge und die machtpolitische Integration der EU für die transatlantischen Beziehungen sein.
Anhaltende Bedrohung
Die anhaltende Bedrohung der europäischen Ostgrenze durch Russland wird auch den Schwerpunkt der EU weiter nach Osten verlagern und den östlichen Mitgliedstaaten ein größeres Gewicht im Konzert der Gemeinschaft verleihen. Die EU wird dadurch neben der Rechtsgemeinschaft und dem gemeinsamen Markt zu einer Sicherheitsgemeinschaft werden, eng verzahnt mit der Nato, wie der Beitrittswunsch zur Nato durch die beiden EU-Mitgliedstaaten Finnland und Schweden ganz praktisch zeigt.
Sorry, es liegt vielleicht an mir, aber ich lese da nur US Militärbasen in Ostblockstaaten, Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips und EU Erweiterung in zwei Geschwindigkeiten raus.
Das der Bevölkerung als “Sicherheit, die sie sich immer gewünscht hat” zu verkaufen, geht tatsächlich nur, wenn du wie Stefan Lehne darin das “Zukunftsnarrativ EU für die Bevölkerung” siehst.
Gegenwärtig geht es vor allem darum, die ganz aktuellen Bedrohungen und Gefahren gemeinsam abzuwehren. Welche institutionellen Veränderungen im Gebäude der EU aus der veränderten Sicherheitsarchitektur in Europa notwendig werden, wird uns die Zukunft zeigen.
Ob Putin wohl wusste, was er tat, als er den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gab? Man wird dies wohl nie mit Gewissheit erfahren. Die europäische Friedensordnung wurde durch ihn zertrümmert, und die Welt und vor allem die Europäer, die Nachbarn Russlands auf dem Kontinent, werden sich darauf einzustellen haben. Ein weiteres Mal geht es um die Verteidigung von Freiheit, Frieden und Demokratie in Europa. (Joschka Fischer, Copyright: Project Syndicate, 4.10.2022)
Muss ich dazu noch etwas sagen? Das ist ein Bernays Statement.