Die NYT hat nach den Untersuchungen der Ukrainischen Staatsanwaltschaft erstmals einen Lageplan der Opfer veröffentlicht die in Butscha gefunden wurden.
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Danke für investigativen Journalismus.
Jetzt ist da aber ein Teilaspekt im Bericht, der mir wieder sauer aufstößt.
Die russischen Streitkräfte haben laut dem Bericht ihr Lager in einer Schule errichtet und in der Nähe Scharfschützen stationiert. Dann fingen sie an, ein Haus nach dem anderen zu durchsuchen. Dabei warnten sie: “Geht nicht hinaus, wir haben einen Schießbefehl.”
Hier gibt es zwei Aspekte denen ggf. ein wenig Kontext nicht schadet. “Dann fingen sie an, ein Haus nach dem anderen zu durchsuchen”, war nach Berichten aus der Region (nicht aus Butscha) der Schritt, der erfolgt sei, als den Angriffstruppen das Essen ausging, da die ukrainischen Verteidiger generell die Angreifer erst durchgelassen und dann die Versorgungstruppen attackiert hätten. Schilderung der Szenerie aus der Sicht der Besatzer im letzten Link (Spiegel Journalist). Vielleicht findet sich auch hier etwas davon (WP Journalist). Jetzt will ich nicht behaupten, dass die Soldaten nicht alles geplündert hätten was nicht niet und nagelfest war - aber die Idee überhaupt erst in die Häuser reinzugehen war möglicherweise nicht in erster Linie durch “Säuberungen” motiviert (von denen hier das erste Mal gesprochen wurde. Ein Friedensabkommen ist aus ukrainischer Sicht nicht vor einem vollständigen Rückzug aller russischen Truppen möglich, da es ja das Risiko von Säuberungen gäbe. Mit dem Argument werden aktuell deutsche Journalisten Überzeugt für einen war of attrition zu sein.). In zweiter Linie dann vielleicht doch, denn laut dem Spiegel Journalisten haben die ukrainischen Streitkräfte nachdem die Versorgung lahmgelegt war Aufräumtruppen in die Dörfer geschickt, mit denen die lokale Bevölkerung kooperiert hat (verständlich), die dann Militärische Einheiten (Stützpunkte, Fahrzeuge, …) markiert und mit Präzisionswaffen ausgeschaltet haben. Danach dürfte die Motivation der russischen Truppen in den Dörfern “Verräter” zu finden ungleich höher gewesen sein. Rechtfertigt kein Massaker, kennen wir aber in der kompletten Erzählung aus anderen Kriegsgebieten.
“Geht nicht hinaus, wir haben Schießbefehl” - ist wie das Besetzen einer Schule, die Art von Terror, die darauf abzielt möglichst wenige Leute auf den Straßen zu haben, um keine taktischen Entscheidungen “ad hoc” treffen zu müssen. Was zivile Opferzahlen eigentlich reduziert, vor allem - wenn du nur die russische Armee bist und im Treffen schneller ad hoc Entscheidungen auf Basis einer schlechten Informations- und Aufklärungslage nicht gerade ausladend gut. Ich bin an der Stelle überfragt, in wie weit bereits das ein Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte ist - ich nehme an es ist einer. Bitte selbst nachprüfen. Und ich nehme ebenso an, dass das (“jeder der noch auf der Straße ist, ist ein potentieller Feind”) nach einigen Tage zu zunehmenden Problemen führt, da sich die Leute ja auch irgendwie versorgen müssen.
In der phoenix runde zum Thema “Zwischen Wahrheit und Propaganda - der Krieg und die Medien”, wurde die ZDF Korrespondentin die auf der Pressereise nach Butscha dabei war (50 Journalisten) und den ersten Augenzeugenbericht darüber für die Hauptabendnachrichten produziert hat - nach ihren Eindrücken gefragt. Das von ihr gezeichnete Szenario war dann in etwa wie folgt: “Soetwas zu inszenieren sei nicht möglich”, “die Journalisten konnten sich im Dorf frei bewegen und mit Anwohnern sprechen” - aber dann auch solche Dinge wie “es sei in Ordnung über die Position der anderen Seite nicht zu berichten, denn da müsste man ja Propaganda wiedergeben, daher sei ein Aussparen der Kommentare einer Seite nicht nur wichtig, sondern auch wesentlich”, mit einer wiederkehrenden Argumentation “wer soetwas anrichtet, der müsse von der Berichterstattung ausgeschlossen bleiben” (ausstaffiert mit “Wir haben uns in Redaktionssitzungen zusammengesetzt und beschlossen uns nicht dem illusorischen Ideal einer ausgewogenen Berichterstattung zu unterwerfen”, weil Kriegsgräuel und russische Propaganda, der man nicht glauben darf). Illustriert wurde das im emotionalsten Moment der Debatte durch die folgende Aussage der ZDF Korrespondentin:
(bei 6:27 in)
“Wir als Journalisten sind hier als Augenzeugen vor Ort. Was ich in Butscha gesehen habe, sind schwere Kriegsverbrechen, ich habe dort mit Menschen gesprochen die mir geschildert haben, wie russische Soldaten Zivilisten Beschossen haben, wie sie Wohnungen und Geschäfte geplündert haben, wie sie Frauen entführt und vergewaltigt haben - und die Städte die wir hier gesehen haben [bezieht sich nicht mehr auf Butscha?] bieten ein Bild unglaublicher Zerstörung, also ich habe ein solches Ausmaß von Zerstörung selten an einem Ort so konzentriert gesehen [bezieht sich also doch wieder auf Butscha?], also auch das ganz klar in Wohnhäuser, auf Kindergärten, auf Spielplätze gefeuert wurde, das dokumentiert doch, dass das was Russland hier sagt eine Lüge ist, also hier von einer Inszenierung zu sprechen, das empfinden natürlich die Ukrainer, bei all dem Schmerz den sie hier erleben als noch einmal eine weitere Eskalation, das - ist ein Informationskrieg in dem wir Journalisten als Augenzeugen glaube ich eine ungemein große Rolle spielen.”
“Jetzt haben sie selbst gesagt, das sind Dinge - sie sind eine erfahrene Reporterin - die schlimmer sind als vieles was sie bisher gesehen haben, wie viel Emotion ist da erlaubt, wie schafft man es dann trotzdem ja, sehr sachlich und nüchtern letztendlich zu berichten?”
“Ich denke, es ist wichtig, dass man Emotionen zulässt, weil gute Berichterstattung muss immer eine Mischung aus Verstand und Herz sein. Also ohne Empathie kommt man den Menschen ja auch nicht näher. Sie können ja nicht ein journalistischer Roboter hier sein, der die Menschen praktisch abfragt nach ihren Erlebnissen, sie müssen schon teilhaben an dem, und ich glaube es ist auch wichtig Dinge nachzuvollziehen und es ist auch wichtig als Reporter selber den Schmerz zuzulassen der mit dem Ganzen einhergeht, was wir hier erleben, ich empfinde das als sehr schmerzhaft, was ich hier erlebe, in den letzten Wochen - für den Zuschauer ist es glaube ich wichtig das transparent zu machen, das transparent zu machen unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten - das ist zum Beispiel, das viele Touren hier vom Innenministerium geführt werden, dass man uns irgendwo hinbringt und uns Gelegenheit gibt Menschen zu sprechen, transparent zu machen in welcher Rolle man hier auch selber als Reporter agiert, das ist glaub ich faire, echte Berichterstattung - und dann muss die natürlich immer auf Fakten basieren.”
“Sehen sie da eine Gefahr, dass sie da irgendwie auch vereinnahmt werden, oder werden könnten, weil sie natürlich auch abhängig sind davon, dass das Innenministerium sie da durch führt?”
“Nein, die Gefahr sehe ich nicht, also das ist ja ein Kriegsgebiet, wo es auch relativ schwierig ist an diese Orte heran zu kommen [oh, dann muss die gesamte Forschung zu embedded reporting falsch liegen], wir haben zum Beispiel heute eine Fahrt nach Irpin auf eigene Faust unternommen und das war wirklich sehr schwierig, wir haben so lange im Stau festgesteckt, weil hier herrscht ein totales Chaos, dass ich fast hier auch zu spät zu der Sendung gekommen wäre - es ist schon gut in Begleitung von Regierungsstellen vor Ort zu sein, weil es ist ja auch ein gewisser Schutz damit verbunden und ich habe jetzt vier Tage hier erlebt, dass wir in Begleitung des Innenministeriums uns Orte angucken konnten und mit Menschen sprechen konnten, und man hat uns da keinerlei Restriktionen auferlegt. Es ist ja nicht so gewesen, dass man uns gesagt hat, ihr müsst mit denen und den Leuten sprechen, oder das jemand neben uns gestanden hätte, ja das wäre kontrollierte Berichterstattung - im Rahmen eines Krieges und ein Krieg limitiert Journalismus immer, alleine durch die Gefahr der wir hier ausgesetzt sind, aber im Rahmen eines Kriegszustandes, denke ich, können wir hier relativ frei berichten.”
Ok, dann machen wir mal kurz einen Faktencheck wie gut das geklappt hat. Privathäuser mit beschossenen Fenstern wurden auch aus anderen Vororten gemeldet, genauso wie mit schwereren Waffen attackierte Kindergärten und Spielplätze. Diese Art von Kriegsverbrechen wurden von beiden Seiten an den UN High Commissioner for Human Rights gemeldet (Quelle: click) und werden unabhängig untersucht. (Die OSZE hat da aktuell was rausgefunden…) Ein Journalismus der das auslässt, hat auf Dauer Probleme. Butscha sei, so die Sprecherin des OHCHR eine andere Kategorie, da hier mehrfache Hinweise auf ein Massaker vorliegen. Die Ausrede militärisches Versehen greift hier nicht. Die Aussage - da es Kriegsverbrechen (Beschuss von Wohnhäusern, Kindergärten und Spielplätzen) gegeben habe, sei der Vorwurf einer Inszenierung auszuschließen, und komplett zurückzuweisen ist faktisch falsch. Je nach dem wer einen Ort gerade besetzt, oder die Kräfte innerhalb eines Ortes zermürben will, feuert auf die Gegenseite im Ort - oder aus Gründen der Terrorpropaganda auf Einrichtungen des öffentlichen Lebens um die Leute aus den Straßen zu halten. Mit dem Massaker ist das nur indirekt verknüpft.
Nächster Punkt - wir konnten frei mit allen Leuten sprechen - ist dadurch limitiert, dass es in einem Dorf in das zu Journalisten bringst nur eine beschränkte Anzahl an Leuten gibt die mit Journalisten sprechen wollen. Ich würde gerne das Gegenteil behaupten, aber in der Berichterstattung der ZDF Korrespondentin
kommt eine Frau zur Sprache die ich kniend in AP Bilder der FT gesehen habe (click) (Wenn ihr ne Paywall seht, den link googlen, dann auf den Reiter News der google suche gehen, und das Suchergebnis dort anclicken, das umgeht die Paywall), die von der Schändung (?) der Leiche ihres Mannes berichtet, und ein Mann der davon spricht “dass sie uns gejagt haben, sie haben uns gedroht uns zu töten, sie hielten Autos an, und feuerten grundlos Raketen auf irgendetwas ab” das belegt Terror, aber noch kein Massaker.
Die Augenzeugenberichte zum Massaker sind vergleichsweise rar (Bitte nicht als Unterstellung auslegen.). Es gab den ersten Zeugen der im polnischsprachigen Fernsehen seine Aussage getätigt hat (8 Todesopfer vermutet) und eine zweite Zeugin, die eine Erschießung in Butscha erlebt hat (ein Todesopfer belegt), die zweite Zeugin (von Human Rights Watch dokumentiert) wurde dann vier Tage später zum Teil einer Blinken Rede, mitsamt der kompletten Details, und dem Zusatz, dass es sich hier ja nur um ein dokumentiertes Kriegsverbrechen unter vielen handelt.
Was die interviewten Leute in Butscha betrifft, gibt es auf dem Youtube Kanal Vot-Tak.tv (Einordnung) Bildmaterial das über Agenturen ging.
Bildmaterial der in der ZDF Reportage interviewten Frau gibt es von Reuters (© reuters / Zohra Bensemra) und AP (© Rodrigo Abd/AP). Erweiterte Videoaufnahmen bei MNEWS World.
Der Hintergrund der zweiten vm ZDF interviewten Person (“Sie haben uns angedroht uns zu erschießen, Autos angehalten und und Raketen auf irgendwas abgeschossen”) findet sich bei der BBC im Kontext einer anderen Geschichte wieder. (© Joel Gunter)
Der alte Mann (Volodymyr Abramov) in der Geschichte der BBC, berichtete dem BBC Reporter (Joel Günther) dann auch von einem Radfahrer, der vor seinem Haus (dem besagten beliebten Bildhintergrund) von einem Panzer erschossen wurde, die BBC konnte das zuerst nicht verifizieren, dann erhielt die NYT das Bildmaterial einer Überwachungsdrohne die in diesem Moment für zumindest zwei Minuten stationär über Butscha geschwebt ist, die das undeutlich aber doch, belegen konnte. Das Bildmaterial war Bellingcat zugespielt worden.
Will sagen, was der Journalismus hier geleistet hat war wichtig - direkte Belege für ein Massaker haben die 50 Journalisten in der Pressetour nach Butcha aber nicht aufgezeigt.
Die kamen in einem ersten Interview auf einem polnischen Fernsehsender zu dem ich kein Bildmaterial gefunden habe, das in Textform vorliegt und das sich auf ein Bild bezieht, das in einer Fassung (gibt das Bild von zwei Seiten) in einem Package von Bildmaterial zu sehen ist, das Selenskyj im Security Council vorgelegt hat, von einem Interview das human rights watch geführt hat, und von einer Drohnenaufnahme die nachträglich bei Bellingcat geleakt wurde.
Die forensische Aufarbeitung der Ereignisse erfolgt jetzt unter der Leitung des ukrainischen Generalstaatsanwalts, dem von Blinken bereits vollstes Vertrauen, volle Kooperation und Unterstützung zugesagt wurde. Die 8 (oder so) nationalen Untersuchungskommissionen von EU Ländern sollen laut Didier Reyndiers (der auch Pressemitteiluingen für die Kommission die russische Oligarchen aufspürt um sie zu sanktionieren herausgibt), jetzt in einem Joint Investigation Team zusammengefasst werden, das auch mit Eurojust und dem Haager Tribunal zusammenarbeiten soll - Didier habe aber bereits sehr gute Gespräche mit der ukrainischen Regierungsführung geführt, wie die EU die Ukraine bei der Sicherstellung und Aufbewahrung von Beweisen unterstützen könne (alles Twitter feed aus dem letzten Link, um den Stichtag herum).
Auf profil.at wird ein Menschenrechtsexperte interviewt, der noch meint, die Beweissicherung müsste jetzt schnell unter der Ägide des internationalen Strafgerichtshofs durchgeführt werden, sonst könne Putin behaupten sie wäre tendenziös durchgeführt worden.
Dass der überhaupt zuständig ist, funktioniert dann so: click
edit: Ein ein Forensiker-Team des IStGH sei mittlerweile vor Ort.
edit2: Hier gibt es einen weiteren Bericht der zwei der Getöteten mit einer Ausgangssperre (ausgesprochen gegen Männer) in Zusammenhang bringt: click
edit3: Lokale Behördenvertreter sprechen davon dass mehr als die Hälfte aller getöteten durch Schüsse ums leben kamen. src: click