Gehen wirs nochmal durch. Am 24. März gibt der Director des ECFR die neuen philosophischen Grundsätze für Europa durch, und der Standard schreibt sie ungefiltert von Project Syndicate ab.
Die zweite Frage lautet, ob Europa für eine regionale Ordnung bereit ist, die nicht auf Regeln und Institutionen, sondern auf einem Gleichgewicht der Kräfte basiert. Der alte Traum einer Ordnung mit Russland ist geplatzt und wurde durch eine Ordnung gegen Russland ohne gemeinsame Institutionen oder Vertrauen ersetzt. Dies wird zu einem gewaltigen Schub der Wiederaufrüstung führen, der in Deutschland und Dänemark bereits begonnen hat. Außerdem steht eine neue Debatte über Militärbasen und Atomwaffen an, die Europas Aufmerksamkeit (und vermutlich Ressourcen) von ihrem globalen multilateralen Engagement abziehen wird.
Die letzte große Frage lautet, ob Europa Teil einer regionalen Ordnung ist oder einer globalen. Noch vor ein paar Wochen galt Europa als geopolitischer Zuschauer des wichtigsten Kampfes im 21. Jahrhundert: der Schlacht um die Kontrolle im Indopazifik. Der neue europäische Krieg und die immer engere Partnerschaft zwischen China und Russland hat Europa und “Eurasien” wieder ins Zentrum der Weltbühne gerückt. Wie Jeremy Shapiro vom European Council on Foreign Relations schreibt, muss die Nato sich jetzt mit den Demokratien in Asien vernetzen, ihre Politik abstimmen und sogar ihre Ressourcen auf die europäische und die pazifische Bühne aufteilen.
Ich übersetze noch mal auf nicht verklausuliert - das Primat Stabilität über Wirtschaftsbeziehungen aufzubauen soll auf europäischer Ebene zurücktreten. Einige ehem. Ostblockstaaten sollen hochgerüstet werden. Zwecks erhöhter Resilienz, soll über den Aspekt Energiesicherheit der Einfluss nordischer Staaten zunehmen, Großbritannien (Sicherheitsarchitektur) soll eine gewichtigere Rolle einnehmen, und am Wichtigsten, das angekündigte Aufrüstungsbudget in Deutschland soll vor allem in Nato Verbände fließen, die sich zukünftig mehr im Indo-Pazifik engagieren sollten. Während sich Deutschlands Energiekosten, post Spekulationsblase, in etwa verdoppeln.
Deutschland hat da eine deutlich andere Ausrichtung im Kopf (“Deutschland solle eine Friedensmacht bleiben”), das Budget solle in die Erstellung eines komplementären europäischen Verteidigungsbündnisses (Strategic Compass) fließen.
Letzterer wurde im Wording fürs appeasement unserer Freunde in den US noch mal ordentlich angepasst -
bleibt aber im Wesentlichen so offen, dass eine europäische Verteidigungsarchitektur Europas, die komplementär zur Nato agiert, aber als eigenständiger Verbund bestehen bleibt, weiterhin die Ideen einer französischen Regierung Macron im Hinblick auf die europäische Sicherheitsarchitektur ermöglicht.
Dazu die US im Wesentlichen - ‘better not’, siehe: CNN
Das Geld solle doch viel eher in die Nato fließen, wenn schon Militarisierung Europas und eine Abkehr von der Idee der Wirtschaftsmacht, dann bitte auch so, dass Europa das nicht unabhängig von der Nato koordiniert - und dass man die Europäer dann erst wieder um die Teilnahme an Einsätzen ersuchen müsste.
Also stellt man den Stoltenberg nach vorne, und lässt ihn erstmal permanente Nato Truppenverbände an der Nato Ostflanke fordern: click (Gibts auch von Reuters, aber hinter einer Paywall) (“permanente” ist wesentlich) - lässt den US Generalstab neue US Basen in der Region empfehlen (click) und es vom ECFR so verteilen, als sei das “die neue europäische Philosophie” das “worüber sich Politiker jetzt Gedanken machen müssten”, und zusammen mit “einem lange andauernden Zermürbungskrieg” das “worauf Politiker die Bevölkerung einschwören müssen”.
Nicht meine Rede, ECFR Artikel. Über Project Syndicate - vom Standard abgeschrieben.
Jetzt will Deutschland das aber perspektivisch eher weniger. (Vermutung.) Größere Bedeutung nordischer Staaten innerhalb der EU (langfristige Energielieferanten), größere Bedeutung der ehemaligen Ostblockstaaten, in denen dann neue Nato Basen stehen, größerer Einfluss der Nato und damit Großbritanniens auf strukturpolitische Entscheidungen Europas, geringerer Stellenwert von Globalisierung, der eigenen Bedeutung als Handelsmacht, … (pfeif auf “Wandel durch Handel”, hier gehts um Wirtschaftsleistung). Also Deutschland zahlt schön für die Zeitenwende, überholt Frankreich in Punkto Militärausgaben - ist aber unter Umständen vergleichsweise schlecht dran, wenns darum geht zu bestimmen, was mit den 100 Milliarden Sondervermögen passieren soll.
Wovon hängt das jetzt ab? Vermutlich von der Eskalationsentwicklung des Krieges in der Ukraine, da die deutsche Rüstungsindustie in etwa 30 Jahre braucht, um das zu erreichen. Hält der Ukraine Krieg jetzt, sagen wir mal fünf Jahre an, werden sich die Stimmen mehren, mit dem Geld doch eher Waffen aus dem Ausland zu kaufen - schließlich brauche man sie bereits akut und nicht erst in Zukunft.
Die US stimmen ihren Kongress ja schon pflichtbesonnen auf einen lange andauernden Krieg ein der Jahre dauern könnte - gemeint sind hier aber so etwa 3-5 Jahre. Stoltenberg wiederholt das am nächsten Tag (selbes Wording) - Scholz spricht aber weiterhin davon dass er auf ein baldiges Kriegsende hoffe, aber nicht um jeden Preis. Dafür springen ihm Teile seiner eigenen Fraktion an die Gurgel, die Grünen sowieso, und natürlich auch die komplette Opposition (natürlich, da die Umfragen besagen, dass etwa 60% der Deutschen schwere Angriffswaffen in der Ukraine sehen wollen).
Scholz hat in den letzten Tagen einen teilweisen Rückzug von seiner Position angetreten, indem er versichert hat, dass Deutschland einen Ringtausch von Panzern vorbereiten würde. Dh. Panzer aus alten Sovjetbeständen die in anderen EU Staaten noch vorrätig sind, gehen in die Ukraine, Deutschland zahlt für den Ersatz im EU Mitgliedstaat, der dann - es muss ja schnell gehen, um die Defensivkapazitäten Europas nicht zu schmälern, höherwertigeres Kriegsgerät aus Deutschland, oder US Fertigung erhält.
Die Argumente dafür warum keine deutschen Panzer in die Ukraine geliefert werden sollen (Einschulung dauere zu lange, und die brauche es zur Einhaltung von Verpflichtungen mit Büdnispartnern) sind nicht die belastbarsten. Jetzt könnte Deutschland noch Schützenpanzer anstatt Leopard 2 liefern, aber auch die würden der Ukraine einen Vorteil bei Counterinsurgency und long range warfare verschaffen (bin in 5 Minuten Reddit lesen, zum Militärexperten geworden.).
Wenn ich jetzt die offizielle EU Position heranziehe was im Krieg denn noch erreicht werden müsse - dann unterscheidet die sich aktuell doch substanziell von der der Ukraine.
Also was will ich jetzt? Den Krieg verlängern? Russland wirtschaftlich maximal schaden (die Resilienz für wirtschaftliche Kriegsführung in Europa ist ja erst im Aufbau, und die Sanktionen wirken ebenfalls besser, je länger sie (die frühen) wirken)? Die komplette Ukraine zurückerobern (Russland hätte da etwas dagegen)? Der russischen Armee maximal schaden (um zu verhindern dass Russland danach in Nato Gebiet einmarschiert, wo die US doch mitbekommen haben, wie schlecht sie bei koordinierter Angriffsführung mehrerer Verbände sind)? Das Atomare Wettrüsten in Europa zu beschleunigen? Regimechange…
Und bevor ich dazu komme ein Ziel zu definieren, ist der Standard schon wieder vorgeprescht und hat Moriawiecki zum Helden geschrieben…
Morawiecki will Scholz hinsichtlich schweren Waffen und Deutschlands “Zweideutigkeit” überzeugen
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki will Kanzler Olaf Scholz (SPD) von der Notwendigkeit überzeugen, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern. Er werde Scholz kontaktieren und ihm klarmachen, dass dies ein Wendepunkt in der Geschichte Europas und der Welt sei, sagte Morawiecki am Donnerstag in der Nähe von Warschau. Die Ukrainer brauchten etwas, womit sie sich verteidigen könnten.
“Deshalb ist es notwendig, ihnen Munition und auch schweres Gerät zu geben. Hier ist die zweideutige Haltung Deutschlands sicherlich nicht hilfreich.” Er wolle mit Scholz reden, um diese Haltung zu ändern.
Morawiecki betonte, Polen liefere der Ukraine eine große Menge an Ausrüstung und Verteidigungsgerät, damit das Nachbarland sich gegen den brutalen und kriminellen russischen Angriff wehren könne. Deutschland und Polen müssten gemeinsam handeln, um die Chancen für die Wiederherstellung des Friedens und der Sicherheit zu erhöhen. Dazu sei auch eine entschlossene Abkehr von russischem Erdöl, russischem Gas und russischer Kohle nötig.
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Ah, sorry - Gewohnheitsfehler, diesmal hat nur die Bevölkerung die den Artikel kommentiert ihn zum Helden (und Scholz zum korrupten SPD Bonzen) gestempelt. Der Standard hat neutral formuliert.
Es geschehen noch Zeiten und Wunder.
Bis zum nächsten Project Syndicate Artikel, den der Standard wieder unkommentiert abschreibt…
edit: Aktueller Bericht der die Zahl aktueller Binnenflüchtlinge innerhalb der Ukraine listet: click
edit2: Die Grünen sind gerade hochkreativ geworden!
Hofreiter warnt Regierung vor einem „De-facto-dritten-Weltkrieg“
Durch Deutschlands Zurückhaltung bei Waffenlieferungen an die Ukraine drohe sich der Krieg auszuweiten, sagt der Grüne Hofreiter. Er widerspricht dem Kanzler.
Deutschland könne zu wenig Waffen liefern um den dritten Weltkrieg zu vermeiden! src: click