Einige Aspekte des zweistündigen Putin-Interviews

09. Februar 2024

die bis­her von allen Medi­en (NYT, WP, NZZ, Süd­deut­sche, Stan­dard, Pres­se, Exx­press, …) als nicht rele­vant über­se­hen werden.

- Putin hat ver­sucht den “ver­rück­ten His­to­ri­ker” los­zu­wer­den, in dem er in einer inter­nen Logik kon­gru­en­te Anga­ben zu sei­nem Geschichts­bild gemacht hat, und die­se mit einem Fol­der aus dem Geschichts­ar­chiv des Kremls zu bele­gen ver­sucht hat.

Oder in kurz: Die Ver­si­on die er dar­stellt ist die Ver­si­on der offi­zi­el­len Geschichts­schrei­bung Russ­lands, die von putin­na­hen Ideo­lo­gen seit etwa 2014 aus­ge­ar­bei­tet wur­de. Und die seit dem von west­li­chen Ideo­lo­gen immer als “ver­rück­ter Putin” mit “wir und die Ost­ukrai­ner sind ein Volk” Ansprü­chen geframed wird.

Wobei Putin die­ses Framing (“wir und die Ost­ukrai­ner sind ein Volk”) im Inter­view eben­falls aus­gie­big bedient.

Das oder die Brei­ten­me­di­en haben immer noch recht und er ist jetzt immer noch ver­rückt, nie­mand - auch kei­ner sei­ner Bera­ter hat ihm vom Inter­view abge­hal­ten, und in dem Fol­der den er an sei­nen Pro­pa­gan­dis­ten Tucker über­gibt, könn­te ja alles sein. 😉

Zusatz: Putin hat sich kei­nen Gefal­len damit getan das am Anfang des Inter­views 25 Minu­ten lang auszubreiten.

- Putin bezieht sich an einer Stel­le direkt auf die Aus­sa­gen des ukrai­ni­schen Chef­ver­hand­lers in Istan­bul im ukrai­ni­schen Fern­se­hen und dass die­ser zuge­ge­ben hat das rus­si­sche Frie­dens­an­ge­bot aus­ge­schla­gen zu haben. Putin framed Boris John­son als Grund. Der Chef­ver­hand­ler “damals auf Putin nicht ver­traut und die eige­ne Hand gespielt zu haben”.

Alle deutsch­spra­chi­gen Medi­en wis­sen noch immer nicht wovon über­haupt die Rede ist, aber das ist ja normal.

sie­he:

Leis­tung!

- Putin hat mehr­fach wie­der­holt für Frie­dens­ver­hand­lun­gen offen zu sein, die Ukrai­ne müs­se nur das Gesetz das Selen­skyj gegen Ver­hand­lun­gen erlas­sen hat kip­pen, und auf die rus­si­schen Bedin­gun­gen ein­ge­hen. Gesprä­che sei­en jeder­zeit mög­lich. Das sub­text Framing war “unter unse­ren Bedin­gun­gen”. Die meis­ten Medi­en haben das nicht gehört. Das Framing ist nicht neu, und die Medi­en wis­sen auch davon - dh. es ist ein Spiel bezüg­lich wann wer ver­han­deln möch­te - wobei die Brei­ten­me­di­en noch nicht so ganz ver­in­ner­licht haben, dass Selen­skyj erst ver­han­deln möch­te, wenn der letz­te rus­si­sche Sol­dat die Ukrai­ne ver­lässt, und dann nur über eine Ukrai­ne mit intak­ter ter­ri­to­ria­ler Inte­gri­tät. Und dass Selen­skyj ein Gesetz gegen Ver­hand­lun­gen mit Putin erlas­sen hat. Und dass Putin hier erneut bestä­tigt hat jeder­zeit für Ver­hand­lun­gen offen zu sein.

Für die Brei­ten­me­di­en ist Selen­skyj halt ein­fach immer noch der Friedenspräsident.. 😉

- Putin hat jeg­li­che impe­ria­len Ambi­tio­nen dezi­diert zurück­ge­wie­sen - ohne Nen­nung von Geor­gi­en und Mol­da­vi­en, trotz­dem ist das berich­te­te “wür­de Polen und Lett­land nicht angrei­fen” ein over­spe­ci­fic framing. Putin hat die kom­plet­ten impe­ria­len Ambi­tio­nen zurückgewiesen.

- Als Grund für den Angriffs Russ­lands nennt Putin einen angeb­lich bereits 2014 erfolg­ten Angriff der Ukrai­ne auf die Zivil­be­völ­ke­rung im Don­bas. Das ist alt. Hier nichts Neues.

- Gleich­zei­tig spricht Putin auch mehr­fach die Sicher­heits­ord­nung in Euro­pa an, über die er ger­ne mit den USA ver­han­deln wür­de. Das haben die meis­ten Medi­en aber aufgegriffen.

- Putin ver­neint dass er einen nuklea­ren Angriff pla­ne, und schiebt den schwar­zen Peter FUD (fear uncer­tain­ty doubt) den west­li­chen Medi­en zu die damit spie­len wür­den. Gut im rus­si­schen Staats­fern­se­hen wird damit eben­falls gespielt, und Med­we­dew spielt damit auf Twit­ter, und die meis­ten Exper­ten gehen davon aus, dass ein Ein­satz tak­ti­scher Nukle­ar­waf­fen (as in nicht stra­te­gi­scher) im Fal­le eines gra­vie­ren­den ope­ra­ti­ven Ver­lus­tes Russ­land durch­aus eine Eska­la­ti­ons­maß­nah­me sein könnte.

- Über die Schwarz­meer­re­gi­on spricht er nicht, dafür sehr aus­führ­lich über Gesprä­che mit US Ent­schei­dern in der Ver­gan­gen­heit, CIA Coups, und ein zu lan­ge zu pas­siv agie­ren­des Russland.

Also im gro­ßen und Gan­zen ist jetzt der kom­plet­te “Putin wür­de die Nato angrei­fen” und der Putin ist ver­rückt und sozi­al iso­liert Erzähl­strang im Eimer - wenn.… Ja wenn da nicht die Deu­tungs­ho­heit der euro­päi­schen Medi­en wäre, denn man kann Putin unge­ach­tet der Gepflo­gen­hei­ten auf dem diplo­ma­ti­schen Par­kett (also war­um man in die Öffent­lich­keit geht, und wie man dort am schlau­es­ten rhe­to­risch framed (Halb­wahr­hei­ten)) immer noch einen Lüg­ner nen­nen, dem man nichts glau­ben darf - und dann muss man als west­li­ches Brei­ten­me­di­um sei­ne Per­for­mance nicht eva­lu­ie­ren, denn…

Der Putin greift ja wie­der an, und dann Nato­staa­ten, wenn wir ihn nur lassen!

Putin begrün­det an der Stel­le auch war­um ers nicht machen wür­de -- aber wenn eben alles was er von sich gibt gelo­gen ist…

Die media­le Per­for­mance der Bericht­erstat­tung über das Inter­view ist erwar­tungs­ge­mäß letztklassig.

Die NYT noch ver­gleichs­wei­se ein Licht­blick. Das WSJ stark unter­grif­fig (was damit zu tun haben dürf­te, dass gegen Ende noch “pro for­ma” über die Frei­las­sung eines ihrer Jour­na­lis­ten “ver­han­delt wur­de” Putin aber nicht den Hauch einer Kon­zes­si­on gemacht hat.

Der Stan­dard hat wie­der mal nichts anbren­nen las­sen und Armin Wolf um eine Ein­schät­zung gebe­ten, der hat dem Stan­dard dann bestä­tigt dass Putin rhe­to­risch sehr fähig ist, und man ihm nichts glau­ben darf.

Und des­halb dür­fen sie alle ja jetzt auch das Video nicht sehen, weil drin gibts eh nichts Neu­es (doch, eini­ges). Und des­halb ver­link ichs auch nicht.

Über das was heu­te in den Kom­men­tar­sek­tio­nen der Zei­tung abgeht muss ich mich glaub ich nicht äußern, das ist Hass gechan­nelt, und wir dür­fen ja, denn es gab ja das Signa­ling eines der pro­mi­nen­tes­ten EU MPs, und vom bes­ten Jour­na­lis­ten des Lan­des, dass alles gelo­gen sein dürf­te, und außer­dem Pro­pa­gan­da, und außer­dem nichts Neu­es, und außer­dem soll­te man sichs nicht anschau­en, weil eh nur alles gezielt manipulativ.

Nicht alles. Aber gut, wenn selbst unse­re Jour­na­lis­ten nicht evau­lie­ren kön­nen, und noch weni­ger wol­len, da das eini­ge der wirk­mäch­tigs­ten Nar­ra­ti­ve des Wer­te­wes­tens auf ein­mal abdreht. Kann mans vom Durch­schnitts­bür­ger gar­nicht erst erwarten.

Ich schä­me mich wie­der mal fürs Medi­en­sys­tem im Wer­te­wes­ten. Und bin trotz­dem dafür das Meis­te nicht für bare Mün­ze zu nehmen.

Ich mei­ne, es waren auch so Schman­kerln drin wie, die Ukrai­ne hat­te doch so und so einen pro­west­li­chen Prä­si­den­ten, nach drei von zwei ver­fas­sungs­ge­mäß zuläs­si­gen Wahl­run­den in 2004, sie hät­ten die Ukrai­ne auch ganz nor­mal unab­hän­gig dekla­rie­ren kön­nen, und Russ­land hät­te nicht ein­ge­grif­fen. Russ­land habe erst dann ein­ge­grif­fen, als Rus­sen im Don­bas von den Ukrai­nern in einer Art Bür­ger­krieg getö­tet wurden.

Das ist dann schon mehr Agi­ta­ti­on als sonst­was. Geschwei­ge denn Wirklichkeit.

(Putin selbst hat in Inter­views zu Pro­to­koll gege­ben, zu bereu­en den Schritt nicht frü­her getä­tigt zu haben, dh - hier gibt es eine inhalt­li­che Inkon­sis­tenz zu frü­he­ren Medien-Auftritten.)

edit: Ah noch ein Punkt. Ent­na­zi­fi­zie­rung sei laut Putin tat­säch­lich nur als “Ent­na­zi­fi­zie­rung” zu ver­ste­hen. Kei­ne pro Nazi, oder pro Ban­de­ra Ver­eh­rung im Don­bas. Dies sei bereits in den istan­bu­ler Vor­ver­trä­gen in Wor­te gefasst gewesen.
Ergo, BS Grund, vor allem fürs Freund/Feind Sche­ma, dh. damit die Rus­sen “den Feind” im Krieg als Unmen­schen sehen.

Das oder, die Brei­ten­me­di­en haben erneut Recht und Putin lügt und will eigent­lich immer noch die gesam­te Füh­rung in Kiew aus­tau­schen, und hat sich mit sei­nem Entnazifizierungs-Ziel selbst ent­tarnt! (OMG!)

edit2: Man­gott heu­te mit fei­ner Klin­ge, einer geziel­ten Aus­las­sung und reframing:

Im Gespräch mit Carl­son denkt Putin wohl, dass ihm ein Trot­tel gegenübersitzt

Putins Behaup­tung, die Nato hät­te 1990 ver­si­chert, sich nicht nach Ost­eu­ro­pa aus­zu­deh­nen. Dabei gab es nie­mals ein sol­ches Ver­spre­chen – weder münd­lich noch schriftlich.

Das “weder münd­lich, noch schrift­lich” ist mei­nem Infor­ma­ti­ons­stand nach falsch, es gab die­se Zusi­che­run­gen münd­lich: click

Schließ­lich ist sich Carl­son nicht zu scha­de, das absur­de Argu­ment in den Ring zu wer­fen, dass die USA Russ­land pro­vo­ziert hät­ten, die Ukrai­ne anzugreifen.

Pro­vo­ziert haben sowohl die USA als auch die Ukrai­ne. (NATO Pres­se­kon­fe­renz Dezem­ber 2021, und Atlan­tic Coun­cil Framing der PK), im Wesent­li­chen: Russ­land ist ein bal­di­ger fai­led Sta­te, den igno­rie­ren wir nicht mal, wenn Russ­land was will soll es erst mal alle Trup­pen aus der Ukrai­ne (inkl. der Krim) abzie­hen, das wäre die bes­te Opti­on für Russ­land, erst danach kön­ne man über­haupt wie­der über eine Nor­ma­li­sie­rung der Bezie­hun­gen nach­den­ken. Das war nach den durch Russ­land gesetz­ten roten Lini­en der Truppenaufmärsche.

Pro­vo­ziert hat aber vor allem die Ukraine:

Wie kann man die­se Gesell­schaft noch verarschen?

Und da waren dann noch die Jave­lins im Don­bas die im Novem­ber 2021 zum Ein­satz gekom­men sind.

Car­son ver­wen­det jedoch kei­nes der Bei­spie­le, son­dern stellt das eher als Gene­ra­lis­mus in den Raum. Das zu kri­ti­sie­ren ist ok.

Oh ja, und der Russ­land­ex­per­te des CFR hat die US die Ver­hand­lun­gen im Jän­ner vor Kriegs­be­ginn “zu schnell” abbre­chen sehen - aber das ist nur sei­ne Mei­nung (Tho­mas Gra­ham hier.)

Also irgend­wie… Auch Man­gott argu­men­tiert nicht sau­ber. Aber es ist die bes­te Ana­ly­se des Inter­views bisher.

Der Rest sei­ner Ana­ly­se geht mei­ner beschei­de­nen Ansicht nach in Ordnung.









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